Perfect Match: Wie HR die richtigen Kräfte findet

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Die Arbeitswelt braucht mehr Menschen, die ihren Job mit Leidenschaft ausfüllen. Headhunterin Stephanie Schorp gibt HR Tipps zum Perfect Match. Potenzial sollte im Vordergrund stehen, nicht der klassische Blick auf Werdegänge.

Menschen suchen tolle Jobs. Und Unternehmen brauchen gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Gut“ sind diese in der Regel dann, wenn sie fachkompetent, engagiert und mental gesund sind – am besten noch glücklich und erfüllt. „Gut“ sind Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter besonders, wenn ihre Persönlichkeit zur Position passt. Wer nicht am richtigen Platz sitzt, arbeitet unter seinen Möglichkeiten, fühlt sich frustriert, bremst das Unternehmen und kündigt schnell. Das ist weder für den Einzelnen noch für die Organisation ein Spaß.

Auch Kunden merken es, wenn Menschen lustlos ihren Job machen – das gilt für den Verkauf, im Service, aber auch in der Entwicklung. Um langfristig in der Unternehmenswelt erfolgreich zu sein, wird daher immer wichtiger, dass die richtigen Menschen an den richtigen Positionen sitzen.

Performance oder Potenzial?

Das stellt HR-Abteilungen vor große Herausforderungen. Denn Karrieren werden vielfältiger, Potenzial differenzierter und Menschen bei ihrer Stellensuche kritischer. Bewerberinnen / Bewerber prüfen genau, was ein Unternehmen ihnen bietet und stellen mehr Forderungen. Auch wenn die Frage nach Sabbatical, Homeoffice oder Firmensport überheblich wirken kann, fördert ein transparentes und genaueres Hinsehen den Prozess für beide Seiten. Je besser Kandidatinnen / Kandidaten die ausgeschriebenen Jobs prüfen und gleichzeitig wissen, was sie selbst wollen, umso weniger Fehlbesetzungen wird es geben.

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Die Kombination eines astreinen Werdegangs und einer tollen Position garantiert noch lange keinen Erfolg, solange die Aufgabe nicht mit der Persönlichkeit zusammenpasst. Das verändert den Recruiting- und Personalentwicklungsansatz in besonderem Maße. HR-Abteilungen dürfen nicht nur die Hard Facts bewerten, die auf dem geduldigen Lebenslauf stehen. Die Zukunft der Job Interviews geht immer mehr ins Nachhaken: Was hat diese Person in diesen Positionen wirklich gemacht? Wie hat sie es gemeistert? Was hat sie dabei bewegt?

Vielen Unternehmen fehlt der Mut für exotische Entscheidungen. Besonders in höheren Etagen suchen sie für einen bestimmten Posten eine Person, die das Gleiche bereits woanders erfolgreich gemacht hat. Das kann der erste Fehler sein. Hier darf man auch mal crossover besetzen. Grundsätzlich wäre hilfreich, den klassischen Blick auf Werdegänge aufzubrechen und mehr nach Potenzial anzuheuern. Niemand kommt als Vorstand oder Managerin auf die Welt. Menschen haben die Chance verdient, ihr Potenzial zu entwickeln, zu nutzen und die persönliche Eignung unter Beweis stellen zu dürfen. Unternehmen müssen sich von stringenten Bilderbuchkarrieren verabschieden.

Der Blick hinter den Lebenslauf

Einen guten Eindruck eines Kandidaten bekommen HR-Experten im persönlichen Gespräch. Danach muss der Profi entscheiden, ob die Reise weitergeht oder nicht. Eine Stunde Gespräch und Austausch auf Augenhöhe, die zwischen Perfect fit oder Dismatch entscheidet. In dieser Zeit ist es wichtig, dass Personaler andere, tiefgehende Fragen stellen und sich intensiv mit dem Gegenüber auseinandersetzen, um dessen Persönlichkeit und Eignung beurteilen zu können. Natürlich lassen sich in diesem Gespräch nur einige Facetten erhaschen. Ein/e Interviewer/in weiß nicht, ob der Kandidat/ die Kandidatin einen guten oder schlechten Tag hat, ob sein/ihr Kind Zahnschmerzen oder er/sie Liebeskummer hat. Trotzdem werden Tendenzen sichtbar.

Ziel des Gesprächs ist es nicht, die Informationen zu bekommen, die bereits im Lebenslauf oder Social-Media-Profil einsehbar sind. Es geht darum, die Menschen wirklich kennenzulernen – und nicht die Version, die sie selbst konstruiert haben, um möglichst gut dazustehen. Leider belegen viele Kandidaten sich in Interviews mit einer Art Selbstzensur, damit sie bloß nichts Falsches erzählen. Das liegt häufig daran, dass Personalverfahren wenig transparent ist. Bewerberinnen / Bewerber wissen nicht, was den Ausschlag gibt und sind deshalb lieber doppelt vorsichtig.

Offene Fragen stellen

Als Einstieg eignet sich die Frage nach der Motivation. Warum sitzen wir überhaupt hier? Warum wollen Sie machen, was wir gerade suchen, und/oder warum wollen Sie weg, wo Sie gerade sind? Dieser Start ermöglicht einen Zugang zum Gesprächspartner / zur Gesprächspartnerin. Wer bei der Frage „Was hat Sie an der Ausschreibung besonders angesprochen?“ schwach aufgestellt ist, gibt einen klaren Hinweis, dass er eher von etwas weg will als zu etwas hin.

Die zweite Frage öffnet den Raum zur Persönlichkeit: Wie sind Sie geworden, was Sie heute sind? Durch diese Formulierung geben HR-ler dem Kandidaten viel Freiraum. Er kann entscheiden, in welche Richtung das Gespräch steuert – ob er vom Promotionsstipendium oder von der Kindheit auf dem Bauernhof erzählt. Diese Offenheit zeigt, was dem Bewerber / der Bewerberin wichtig ist und ob er/sie private Einblicke geben möchte. Natürlich geht es nicht darum, das Gegenüber auf die Couch zu legen. Niemand will dessen Kindheit durchleuchten. Seriösen Unternehmen geht es nur um die Persönlichkeit, bei der die Kindheit natürlich eine Rolle spielen kann.

Anschließend bewegt sich ein zielführendes Gespräch entlang des Lebenslaufes. Der Personaler / die Personalerin soll am Ende den Werdegang des Kandidaten verstehen. Wer hier auf Punkte eingeht, die ihm / ihr besonders auffallen, bekommt ein gutes Bild: Warum haben Sie alle zwei Jahre den Job gewechselt? Warum sitzen Sie seit 20 Jahren auf der gleichen Position? Warum kam es an jener Stelle zum Bruch? Auf solche Fragen gibt es keine absolut richtigen oder falschen Antworten. Es geht um die zum Kandidaten passende Auskunft.

Eine Lücke im Lebenslauf muss kein Deal Breaker sein. Sie muss sich nur erklären lassen. Es kann sich dabei um eine völlig normale Entscheidung handeln. Es geht immer darum, wie jemand über sein Leben spricht – sowohl über die angenehmen als auch unbequemen Abschnitte.

Selbsteinschätzung – Schluss mit Stärken & Schwächen

Für einen guten Eindruck können Personaler / Personalerinnen auch die Selbsteinschätzung der Kandidaten abklopfen. Wer sich Floskeln ersparen will, fragt besser nicht nach den Stärken und Schwächen. Um keine einstudierten Antworten zu bekommen, forcieren Profis persönliche Antworten. Zum Beispiel: Welchen Footprint haben Sie in einer bestimmten Jobstation hinterlassen? Gibt es etwas, das Sie irgendwo eingeführt haben und dort immer noch verwendet wird? Oder: Was ist denn nun genau Ihr USP – und zwar für die Position, um die es gerade geht?

Natürlich kommt es vor, dass sich jemand nicht öffnen will, weil er/sie vermutet, dass er/sie mit der eigenen Geschichte und seinen echten Antworten keine Chance hat. Zurückhaltung kann auf Unsicherheit basieren. Profis merken jedoch schnell, wenn das Gegenüber einen vom Pferd erzählt.

Ein geschultes Auge erkennt, dass der Lebenslauf getürkt ist oder die Erfolgsstory nichts mit den wahren Ereignissen zu tun hat. Wenn eine Schilderung zu merkwürdig erscheint, hilft nachbohren: „Ach wirklich? Das kann ich mir kaum vorstellen! Erzählen Sie bitte mehr …“. Verheddert das Gegenüber sich in der eigenen Geschichte? Oder wirkt es authentisch?

Dismatch oder Perfect fit

Es bleibt dabei: Die Arbeitswelt braucht mehr Menschen, die ihren Job mit Leidenschaft ausfüllen. Nur wer tut, was ihm liegt, blüht in seiner Arbeit auf. Nur wenn Jobumfeld, Werte und Ansichten eines Mitarbeiters hohe Übereinstimmung haben, sind Unternehmen und Menschen auf dem richtigen Weg. Alles andere ist nicht mal mittelfristig erfolgreich.

Gerade Führungskräfte müssen hinter Entscheidungen, Entwicklungen und Prozessen stehen, um glaubwürdig zu sein. Menschen sind sehr empfindsam für mangelndes Commitment und falsch verstandene Authentizität. Wer leistungsstarke, engagierte und zufriedene Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter haben will, die sich und ihr Unternehmen mit Freude nach vorne bringen, sollte sich daher nicht nur im Recruiting immer vor Augen halten, dass ihnen eine individuelle Persönlichkeit und keine Maschine gegenübersitzt.

Das neue Buch der Autorin:

Buchcover Persönlichkeit macht Karriere

Stephanie Schorp
Persönlichkeit Macht Karriere
So stellen Sie die Weichen für Ihren eigenen beruflichen Weg
222 Seiten, Hardcover gebunden, 24 Euro
ISBN 978-3-593-51542-7 (Print)
Auch als E-Book (PDF) und EPUB
Campus Verlag, März 2022
Leseprobe

In Persönlichkeit macht Karriere verrät Headhunterin und Psychologin Stephanie Schorp ihr Insiderwissen. Für sie ist glasklar, worauf es heute bei einer Spitzenlaufbahn ankommt und was die Reise so anspruchsvoll macht. Früher gab es feste Gesetzmäßigkeiten, wie der Aufstieg funktioniert. Heute ist Karriere kein Wettbewerb mehr, bei dem alle über die gleiche Latte springen, kein schneller, höher, weiter. Vielmehr erweist sie sich als komplexes Zusammenspiel zahlreicher Faktoren, als Konglomerat von Kompetenzen, Talenten, Zeitgeist, Situation.


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Foto Stephanie Schorp

Stephanie Schorp ist Geschäftsführerin der Personalberatung Comites perfect placements und gilt als eine der renommiertesten Headhunterinnen Deutschlands. Seit über 20 Jahren ist die Diplom-Psychologin mit der Auswahl, Beurteilung und Entwicklung von Führungskräften beschäftigt. Ihre Erfahrungen sammelte sie sowohl im Großkonzern als auch im Mittelstand und in der Beratung. Foto: ©Stefanie Kresse

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