Mitarbeitendenbefragung: Nachbereitung ist entscheidend

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Unternehmen sollten den Folgeprozess einer Mitarbeitendenbefragung mit mehr Aufwand durchführen, fordert Assaf Greisman, Leiter Reward Management and International Executive Regulations bei der DB Cargo AG. Und dann die Erkenntnisse in die Einstellungsentscheidungen bei zukünftigen Kandidatinnen und Kandidaten für Schlüsselfunktionen einfließen lassen.

Viele Unternehmen, die die Ergebnisse ihrer Mitarbeitendenbefragungen im Laufe der Jahre analysieren, werden feststellen können: Manche Beschwerden und negative Tendenzen wiederholen sich in jeder Befragung, obwohl die Unternehmensleitung sich eigentlich vorgenommen hat, diese Probleme zu beseitigen. Unternehmen verändern aber ihre schlechten Gewohnheiten genauso ungern und langsam wie es Individuen tun, unbehandelt verschwinden die Beschwerden nicht und im Laufe der Zeit werden diese sogar als „Klassiker“ bezeichnet, als hätte das Unternehmen mit deren Eintrittshäufigkeit nichts zu tun gehabt.

Sind diese Beschwerden aber tatsächlich „Klassiker“, die nicht beseitigt werden können, oder verschwinden diese Beschwerden nicht, weil die Herangehensweise des Unternehmens, vor allem in Bezug auf den Folgeprozess, einfach falsch ist?

Sinnhaftigkeit und Kritikalität der Institution

Bevor und damit für noch mehr Ressourcenaufwand und Investition in den Folgeprozess der Mitarbeitendenbefragung plädiert werden kann, soll zunächst ihre Wichtigkeit anhand ihres ökonomischen Mehrwertes klargestellt werden: Letztendlich dient die Mitarbeitendenbefragung zur Erhöhung der Bindung und Leistung von Angestellten, was wiederum die Voraussetzung des Weiterexistierens jedes Unternehmens ist.

Durch die Beseitigung von arbeitsrelevanten Störfaktoren sollen die Arbeitszufriedenheit der Angestellten und die relative Arbeitgeberattraktivität im Vergleich zu externen Optionen steigen und somit die Bindung zunehmen. Durch die erhöhte Arbeitszufriedenheit und die Beseitigung der leistungsrelevanten Störfaktoren sollen die gesteigerte Motivation (Wollen) und erhöhte Befähigung (Können) zu Leistungssteigerung führen.

Für die möglichen positiven Gesamteffekte aus einer gelungenen Operation kann mit den Weisheiten aus der Kundenbindungslehre im übertragenen Sinne argumentiert werden:

  • Bindung von bestehenden Kunden (Angestellten) ist günstiger als die Akquise (Einstellung) von neuen Kunden (Angestellten).
  • Beschwert sich der Kunde (Angestellte) und wird seine Beschwerde zufriedenstellend behandelt, so wird die Kundenbindung (Mitarbeiterbindung) noch stärker als je zuvor.

Da Angestellten letzten Endes einen anderen, aber dennoch ähnlichen Einfluss auf den Gewinn des Unternehmens haben wie die Kunden selbst, ist es genauso sinnvoll, in die Mitarbeiterbindung zu investieren wie in die Kundenbindung.

Nun ist es leider so, dass aufwendige Maßnahmen zur Investition in die Mitarbeiterbindung bei vielen Unternehmen öfter gerechtfertigt werden müssen, als das bei Maßnahmen der Kundenbindung der Fall ist. In Anbetracht dieser Ausführungen werden im Folgenden Aspekte aus dem klassischen Folgeprozess der Mitarbeitendenbefragung kurz aufgegriffen und entsprechend kritische Impulse zur Steigerung dessen Effektivität andiskutiert.

Die Gefahr der Mehrdeutigkeit und die Sinnhaftigkeit der 1:1-Interviews

Die Voraussetzung für die effektive unternehmerische Reaktion auf die Ergebnisse der Mitarbeitendenbefragung sowie für die erfolgreiche Beseitigung der Störfaktoren ist, dass das Unternehmen erst einmal versteht, was die Angestellten im Rahmen der Befragung adressieren wollten. Im üblichen Format einer Befragung könnte das problematisch sein, denn: Viele Aussagen, die die Angestellten bewerten sollen, werden generisch formuliert, so dass die Gefahr der ungewollten Mehrdeutigkeit entsteht.

Ein Beispiel: Die Aussage „in meiner Abteilung haben wir ein gutes Arbeitsklima“ ist ziemlich eindeutig. Die Aussage „in meiner Abteilung haben wir eine Kultur der offenen Kommunikation“ kann hingegen durch die Angestellten sehr unterschiedlich ausgelegt werden. Während der Eine sich hierbei über die Kommunikation unter den Abteilungsmitgliedern selbst zum Thema Zusammenarbeit beschwert, lobt die Andere die Fehlerkultur in der Abteilung. Der Dritte versteht die Aussage sogar nur im Kontext der Versorgung der Abteilungsmitglieder mit relevanten Informationen durch die Abteilungsleitung.

Wird diese Mehrdeutigkeit in solchen generisch formulierten Aussagen nicht behoben, sind die klassischen Auswertungen für die Aussage im Ergebnisbericht hinfällig. Die Unternehmensleitung kann die unterschiedlichen Facetten und Ausprägungen der Störfaktoren nicht in der erforderlichen Tiefe verstehen und deshalb nicht angemessen behandeln. Es fehlen der Unternehmensleitung schlichtweg die „Pixel“, um das scharfe Bild der Störfaktoren sehen zu können.

Selbst wenn das Problem der Mehrdeutigkeit im Rahmen von vertieften Auseinandersetzungen mit den Befragungsergebnissen in gängigen Workshops und Fokusgruppen mit mehreren Teilnehmern gelöst werden kann, stellt sich die Frage, ob die Gruppendynamik in diesem Fall für die vertiefte Auseinandersetzung geeignet ist. Denn während eine gesunde Gruppendynamik für bereichernde Diskussionen und Ideengenerierung bei sachlichen Themen sorgen kann, kann sie im vorliegenden Fall dazu führen, dass:

  • der Redeanteil mancher Teilnehmer/-innen auf Kosten anderer Teilnehmer/-innen kommt.
  • manche Teilnehmer/-innen sich nicht trauen, ihre echten Meinungen und Beschwerden vor anderen Menschen zu äußern.
  • manche Teilnehmer/-innen andere mit ihren persönlichen Beschwerden „anstecken“.

Dieser Prozess ist auf dem ersten Blick aufwendig. Im Anschluss an die Auswertung kann aber eine individuelle Vertiefung in Form von 1:1-Interviews die erwähnten Schwierigkeiten lösen. Hierbei können sowohl interne als auch externe Vertrauenspersonen die diskreten Interviews durchführen. In einer diskreten Umgebung hat das Individuum mehr Raum, sich zu öffnen und seine Störfaktoren im tieferen Kontext differenziert einzuordnen.

Auch die Möglichkeit, mit der Vertrauensperson zu reflektieren, ob die Störfaktoren systematisch oder nur punktuell sind, und welche persönlichen Erwartungen und Enttäuschungen hinter diesen subjektiven Beschwerden stehen, ist gegeben. Die individuelle 1:1-Behandlung der Befragten ist zwar teuer, aber ein fruchtbarer Boden für großen Mehrwert aus der Mitarbeitendenbefragung, denn Verstehen ist die Voraussetzung für alles.

Die Struktur von dominoeffektähnlichen Beschwerdekomplexen erkennen

Im menschlichen Körper kann eine Verletzung an der einen Stelle zur Schonhaltung und deshalb Fehlstellung an einer anderen Stelle führen. Eine bestimmte Abfolge von Störfaktoren kann für ein Individuum oder auch für eine ganze Gruppe im Unternehmen ähnlich entstehen. Um die Erfolgschancen der Beseitigung bindungs- beziehungsweise leistungsrelevanter Störfaktoren erhöhen zu können, muss das Unternehmen die Beschwerden nicht nur differenziert richtig verstehen, sondern es muss auch die Struktur von dominoeffektähnlichen Beschwerdekomplexen erkennen können.

Die schwierige Aufgabe der Erkennung solcher Ursache-Wirkungsstrukturen kann durch fortgeschrittene Analyse und Darstellung der Ergebnisse erleichtert werden. Anstatt die absolute Quote der Zustimmung / Ablehnung jeder Aussage isoliert und deskriptiv zu berechnen und im Ergebnisbericht anzugeben, sollten Zusammenhänge im Beantwortungsmuster gefunden werden (zum Beispiel „Angestellte, die Aussage X negativ bewertet haben, tendieren dazu, auch Aussage Y negativ zu bewerten“).

Über die gefundenen Zusammenhänge und daraus zu vermutenden Beschwerdekomplexe im relevanten Abschnitt des Unternehmens (zum Beispiel in der Abteilung X) kann dann im Rahmen der 1:1-Interviews (mit Befragten aus Abteilung X) reflektiert werden. Die Erkennung der Beschwerdekomplexe ist für den Gesamtprozess so wichtig, weil sie die Identifikation von Quellen beziehungsweise Auslösern der negativen Dominoeffekte ermöglicht, was wiederum die effiziente und effektive Bekämpfung und Beseitigung von Störfaktoren begünstigt.

Gefährliche Auslöser negativer Dominoeffekte

Da das tägliche Geschehen im Unternehmen und das soziale Miteinander seiner Mitglieder nicht im luftleeren Raum stattfinden, können viele Aspekte zum Auslöser negativer Dominoeffekte werden. Unter den gefährlichsten Gruppen solcher Störfaktoren sind aber die, die mit dem Führungsstil der direkten Führungskräfte oder mit der Unternehmenskultur verbunden sind.

Führungsstilrelevante Beschwerden sind empirisch unmittelbar mit Bindung und Leistungsbereitschaft verknüpft und haben das Potenzial, aufgrund ihres direkten Bezugs zum Alltag eines Angestellten besonders akute Beschwerdekomplexe mit praktischer Bedeutung für die täglichen Operationen in der Organisationseinheit auszulösen. In ihrer vielleicht schwersten Ausprägung auf der abstrakten Ebene können sie die Verinnerlichung der Unternehmensstrategie durch die Angestellten verhindern, was negative Implikationen für die Ausrichtung der Leistungserbringung der Belegschaft haben könnte.

Unternehmenskultur-relevante Beschwerden, ob als Quelle eines Dominoeffekts oder isoliert betrachtet, können die Bindung und Leistungsbereitschaft von Team-Playern und High-Performern reduzieren, da besonders solche Angestellten stark auf Störungen in der Unternehmenskultur reagieren beziehungsweise sich eine Exzellenzkultur als Arbeitsumgebung wünschen. Bei der vertieften Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und Priorisierung der Behandlungsmaßnahmen sollte unbedingt die Lage dieser Aussagengruppen an erster Stelle evaluiert werden.

Unzufriedenheit ist nicht gleich Abwanderung oder Motivationsmangel

Die Bindung der Angestellten und deren Leistungsbereitschaft sind die Zielfaktoren der Mitarbeitendenbefragung. Gemessen wird aber in erster Linie das Zufriedenheitsniveau der Angestellten. Obwohl es sich insgesamt um eine gute Annäherung handelt, muss die Kausalität zwischen Zufriedenheit und Bindung beziehungsweise Leistung vorsichtig und differenziert betrachtet werden. Nicht jede Unzufriedenheit ist unbedingt abwanderungsrelevant und bei intrinsisch motivierten Angestellten, die hohe Leistungsansprüche an sich selbst haben, beeinflussen Beschwerden und unternehmerische Störfaktoren ihre Leistungsbereitschaft nur bedingt.

Damit das Unternehmen also die Störfaktoren, Handlungsfelder und die Beschwerdekomplexe nach kritisch vs. nicht kritisch priorisieren kann, sollte ein quantitativer Abgleich mit den empirischen Befunden aus Exit-Interviews stattfinden, um eben die oben erwähnte differenzierte Betrachtung vorzunehmen. Ergänzend sollte auch die Bindungs- beziehungsweise Leistungsrelevanz der Beschwerden im 1:1-Interviews qualitativ diskutiert und evaluiert werden.

Priorisierung nach Mitarbeitergruppen

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Eine ungünstige Situation sollte nicht freiwillig mit weiteren Maßnahmen entzündet werden. Die Priorisierung der Behandlungsmaßnahmen sollte an der Bindungs- beziehungsweise Leistungsrelevanz in der Grundgesamtheit der Belegschaft orientiert werden.

Allerdings müsste mit noch größerer Sorgfalt analysiert werden, welche bindungs- beziehungsweise leistungsrelevanten Störfaktoren und Beschwerdekomplexe bei den Problemzonen der Belegschaft vorhanden sind. Solche Problemzonen sind die Mitarbeitergruppen und Berufe, deren Arbeitsangebot am externen Markt ohnehin schon knapp ist, sowie Stellen und Funktionen, deren Leistungserbringung in einem größeren Zusammenhang mit der Unternehmensperformance steht.

Probleme und Beschwerden verschwinden nicht von allein. Dieser Beitrag ist ein Appell für eine professionellere, ernstere und strategischere Herangehensweise bei dem Folgeprozess der Mitarbeitendenbefragung. Dieser sollte mit mehr Aufwand und Ressourcen, im „Koste was es wolle“-Modus durchgeführt werden, vor allem bei Unternehmen, die ihre Kernprobleme nachweislich nicht loswerden können.

Sicherlich kann nicht jede Beschwerde behandelt werden. Es sind aber oft keine „Klassiker“, sondern Probleme, die aufgrund von nicht richtig, nicht differenziert und nicht holistisch Verstehen sowie nicht richtig analysiert und priorisiert übersehen und vernachlässigt werden.

Neben den Ausführungen in diesem Beitrag bedarf es noch zwei wichtiger Ergänzungselemente: Das Eine ist ein ehrliches und transparentes Commitment zur Verbesserung der strategischen Schwachstellen, gepaart mit einem System von Implikationen und Konsequenzen seitens der Unternehmensleitung. Das Andere ist eine Feedbackschleife aus den analytischen Befunden der Mitarbeitendenbefragung in alle HR-Systeme der Personalauswahl von Führungskräften, wie zum Beispiel Kompetenzprofile, Wertesysteme und Führungsstile von Kandidaten, Rollenmodelle und Anforderungsprofile.

Die meisten bindungs- beziehungsweise leistungsrelevanten Störfaktoren und Beschwerdekomplexe im Unternehmen werden durch Menschen verursacht. Ein guter erster Schritt in der Bekämpfung und Beseitigung solcher Probleme ist, die Erkenntnisse aus einem gelungenen Folgeprozess in die Einstellungsentscheidung von Kandidaten für Schlüsselfunktionen in Zukunft einfließen zu lassen.

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Foto Assaf Greisman

Assaf Greisman verfügt über langjährige Erfahrung sowohl als Berater bei der Hay Group als auch als Spezialist und Führungskraft bei der Deutsche Bahn Cargo AG. Dort leitet er die Abteilung Reward Management and International Executive Regulations. Seine Handlungsschwerpunkte sind personalpolitische und -strategische Fragestellungen der Funktionsbewertung, des Vergütungsmanagements, der internationalen HR-Governance und der HR-Strategie. Er hat einen Bachelor of Science (B.Sc.) in Wirtschaftswissenschaften von der Goethe Universität in Frankfurt und einen Master of Business Consulting (M.BC.) von der Hochschule Wismar. Foto: ©PicturePeople

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