Wie können Sie organisationale, emotionale und kognitive Blockaden im Unternehmen überwinden? Anne M. Schüller schildert, welche nützliche Rolle der „Elephant in the Room“ dabei spielen kann.
Innovationen sind der Umsatz von übermorgen. Man muss sie startklar in der Pipeline haben, wenn die alten Lösungen es nicht mehr bringen. Tabuthemen, Blockaden und „heilige Kühe“ kann man dabei nicht brauchen. Mit dem „Elefanten im Raum“ lässt sich das scheinbar Unantastbare vertreiben.
Für die „Future Economy“, in der sich menschliche und künstliche Intelligenzen miteinander verbinden, wird zunächst ein „Future Mindset“ und dann eine „Future Organisation“ gebraucht. Dies verlangt von einem traditionellen Management, die derzeitigen Strukturen, Prozesse und Strategien radikal auf den Prüfstand zu stellen – und dabei insbesondere auch die „heiligen Kühe“ zu thematisieren.
Viele Anbieter optimieren lieber ihre Vergangenheit, statt ganz und gar neue Wege zu gehen. Deren Manager sind keine Gestalter, sondern Verwalter, weil das System, in dem sie Verantwortung tragen, Wagemut nicht belohnt. Kein Unternehmen erzielt Wettbewerbsvorsprünge dadurch, dass die Belegschaft das Übliche tut und sich an Etabliertes hält. Vorsprünge erzielt man im Neuland, durch außergewöhnliche Vorgehensweisen, durch kühnes Handeln und einfallsreiche Ideen.
Doch vielen Menschen gefällt es ungemein, Bestätigung für ihre Denkmuster, Handlungsroutinen und Glaubenssätze zu bekommen. Ferner tendieren wir dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie den eigenen Erwartungen entsprechen und/oder diese bekräftigen. Manche beharren selbst dann auf ihrer Meinung, wenn neue Informationen diese längst widerlegen. So gibt es dreierlei Blockaden, und das sind meist die wahren Gründe, die Wandel blockieren:
- organisationale Blockaden
- emotionale Blockaden
- kognitive Blockaden
Solange solche Blockaden nicht angefasst und überwunden werden, wird ein Großteil der Transformationsbemühungen wirkungslos bleiben.
Organisationale und strukturelle Blockaden
Natürlich wird in punkto Agilisierung schon eine Menge getan. Doch schaut man genauer hin, passiert das meiste nur punktuell. Zudem beschränkt sich das Vorgehen auf die Mitarbeiterseite, die Arbeitsplatzgestaltung und neue Arbeitstools. Das Wesentliche aber bleibt unangetastet. So heißt es seit Jahren, dass Silo-Strukturen aus der Zeit gefallen sind und nicht mehr funktionieren. Doch (fast) niemand reißt die eigenen Silos konsequent ein. Man dreht zwar an kleinen Schräubchen, nicht aber am großen Rad.
In nahezu jeder Firma gibt es Probleme, die unübersehbar existieren. Doch man spricht über sie nur hinter vorgehaltener Hand: veraltete Geschäftsmodelle, die vergreisten Lieblingsprodukte des Chefs, Regeln und Rituale, die keiner mehr braucht, alphahierarchische Machtstrukturen, unzeitgemäße Entscheidungsverfahren, antiquierte Führungsmethoden, eine falsche Fehlerkultur, überbordende hausgemachte Bürokratie, ächzende Meetings, verfehlte Bonifizierungsstrategien und vieles mehr.
Es bringt zum Beispiel rein gar nichts, wenn ein selbstorganisiertes Team im Schnellsprint ein Kundenprojekt bis zur Umsetzungsreife entwickelt, dieses Projekt dann aber wochenlang in einem klassischen Toplevel-Gremium hängenbleibt. Da, wo es keinen grundlegenden Erneuerungswillen gibt, kommen die meisten guten Ideen über das Stadium des Zettelchenklebens nicht hinaus. Und da, wo sich Pilotteams neu ausrichten und autonom arbeiten dürfen, verpufft deren Transformationsenergie, sobald sie auf ein verkrustetes Grundgerüst treffen.
Emotionale Blockaden, dabei allem voran Angst
Emotionale Themen sind heikel. Oft hat man selbst keinen Zugang zu seinen wahren Motiven – oder man macht sich und anderen etwas vor. Damit sich das nicht weiter verhärtet, sondern lockert, ist ein behutsames Vorgehen unabdingbar. Was die Menschen im Unternehmen tatsächlich sehr oft daran hindert, schlüssige Transformationskonzepte anzuschieben, mitzutragen und umzusetzen, ist Angst:
- Die Angst, geliebte/erprobte Gewohnheiten aufgeben zu müssen.
- Die Angst, bei neuen Themen nicht mehr mithalten zu können.
- Die Angst, als zunehmend inkompetent zu gelten.
- Die Angst, dass mangelndes Wissen und Können auffliegen könnten.
- Die Angst, sein Gesicht zu verlieren oder demontiert zu werden.
- Die Angst vor dem Zeigen vermeintlicher Schwächen.
- Die Angst vor Status-, Macht- und Bedeutungsverlust.
- Die Angst, Pfründe, Privilegien oder seinen Posten zu verlieren.
- Die Angst, aufs Abstellgleis zu geraten und nicht mehr dazuzugehören.
Angst ist eine mächtige Triebkraft menschlichen Handelns. Sie ist der größte Leistungs- und Fortschrittskiller. Es lohnt sich, dies einmal offen und ehrlich zu thematisieren.
Kognitive Blockaden durch verfestigte Mindsets
Wandel kollidiert oft mit Verlustaversion und Beharrungstendenzen. Auch verfestigte Mindsets, unsere geistigen Filterblasen, hemmen uns, Neues zu wagen. Mindsets sind Denk- und Handlungsweisen, die auf scheinbar unverrückbaren Glaubenssätzen basieren. Glaubenssätze sind subjektive Bewertungssysteme, die uns sagen, was richtig und falsch ist. Sie bestimmen sowohl die persönlichen als auch die innerbetrieblichen Vorgehensweisen.
Meist entstehen solche Blockaden intuitiv, also ohne böse Absicht – und ohne sich dessen bewusst zu sein. Die kognitiven Verzerrungen, die uns in diesem Kontext befallen können, sind zahlreich, weit über fünfzig sind dokumentiert. Im Englischen spricht man dabei von einem „cognitive bias“. Dies ist ein Sammelbegriff für fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen.
Haben sich derartige Denkmuster erst verfestigt, wird unsere gesamte Wahrnehmung davon gesteuert. Was unsere Überzeugungen widerspiegelt, nutzen wir als Verstärker, was nicht dazu passt, blenden wir aus. Wie man sich firmenintern davor und ebenso vor den organisationalen und emotionalen Blockaden schützt? Indem man es thematisiert. Zum Beispiel mit einem Tool namens „Elephant in the room“.
Blockaden lösen mit dem „Elephant in the Room“
„Elephant in the Room“ ist eine gute Methode, um Tabus und Blockaden jeder Couleur in Angriff zu nehmen. Warum Elefant? Weil es um etwas wirklich Großes geht: ein offensichtliches Problem, das dick und breit im Raum steht und den Zugang zu einer besseren Zukunft versperrt. Es ist unübersehbar, doch alle tun so, als wäre es gar nicht da. Im Mittelpunkt eines solchen Workshops steht folgende Frage:
„Wenn es um unsere unternehmerische Zukunft geht, was sind die wahren Hemmnisse und Blockaden, über die zwar offiziell niemand spricht, worüber wir aber unbedingt reden sollten?“
Initiiert wird dieser Prozess am besten von jemandem aus dem Top-Management. Arbeiten Sie in diesem Workshop unbedingt mit einer qualifizierten Moderation. So gehen Sie schrittweise vor:
- die „heiligen Kühe“ werden via Kärtchenabfrage ermittelt und anonymisiert an eine umgedrehte Pinnwand geheftet,
- die gefundenen Themen werden geclustert, beispielsweise in organisationale, emotionale und kognitive Blockaden,
- bei allen oder ausgewählten Themen wird behutsam betrachtet, welchen Schaden ein „weiter so“ anrichten könnte,
- für so viele Themen wie möglich wird eine Lösung gesucht und gefunden, um es in Zukunft besser zu machen.
Zwei weitere ergiebige Varianten habe ich in „Bahn frei für Übermorgengestalter“ ausführlich beschrieben.
Ein Etappenziel ist erreicht, wenn sich am Ende alle trauen, Dinge, die sie für eine „heilige Kuh“ halten, offen anzusprechen. Und das sollte stets positiv aufgenommen werden, vor allem von den „Haltern der Kühe“. Danach sollte mindestens eine Kuh bei den Hörner gepackt und tatsächlich vom Eis geholt werden. Maximalziel ist, dass es am Ende keine „heiligen Kühe“ mehr gibt – und Blockaden fortan erst gar nicht entstehen.
Vorausdenker & Übermorgengestalter – das neue Buch der Autorin
Anne M. Schüller:
Bahn frei für Übermorgengestalter
Gabal Verlag 2022, 216 Seiten, 24,90 €
ISBN 978-3967390933
Das Buch zeigt 25 rasch umsetzbare Initiativen und weit über 100 Aktionsbeispiele, um zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden. Kompakt und sehr unterhaltsam veranschaulicht es jedem, der helfen will, eine bessere Zukunft zu gestalten, die maßgeblichen Vorgehensweisen in drei Bereichen: Wie machen wir die Menschen stärker, das Zusammenarbeiten besser und die Innovationskraft im Unternehmen größer.
Hier finden Sie weitere Beiträge von Anne M. Schüller:
- Gezielt finden: Vorausdenker und Übermorgengestalter
- Übermorgengestalter – bei Ihnen tatsächlich willkommen?
- Wenn die Belegschaft die Gewissensfrage stellt
- „Kill a stupid Rule!“: Internen Ballast abwerfen
- Punktuelle Umfragen: Ehrliche Antworten statt Kreuzchen
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.