„Great Resignation” und die Zukunft des Personalwesens

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Wie werden sich Pandemie und „Great Resignation” langfristig auf die Arbeitswelt auswirken? Antworten von Tuba Vogel, VP of People and Culture bei Expertlead.

Ob War for Talents, die Forderung nach flexibleren Arbeitsmodellen oder der als Great Resignation bezeichnete Trend ab Anfang 2021, freiwillig den Job aufzugeben: Die Arbeitswelt unterliegt einem Prioritätenwechsel – und Covid-19 befeuerte ihren längst überfälligen Wandel. Doch wie wird sich die Pandemie langfristig auf die Arbeitswelt auswirken? Welche Trends sind gekommen, um zu bleiben – und was müssen Personalabteilungen jetzt beachten, um auch künftig erfolgreich ihrer tragenden Rolle in Unternehmen nachzukommen?

Prioritätenwechsel bei den Menschen trifft Fachkräftemangel

Im Zuge der Pandemie kündigten im Juli 2021 vier Millionen Amerikaner ihren Job, in Europa stieg die Zahl letztes Jahr – im Vergleich zu 2019 – um 15 Prozent. Das Phänomen erhielt sogar eine eigene Bezeichnung: „Great Resignation” oder „Big Quit”. Covid-19 ließ die Menschen innehalten und reflektieren, ob die Arbeit, der sie nachgehen, den eigenen Wünschen und Vorstellungen wirklich entspricht – falls nicht, wagten sie nicht selten einen Neuanfang.

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Die Krise fungierte als Katalysator eines Prioritätenwechsels, bei dem der Mensch und seine Bedürfnisse wieder vermehrt im Fokus stehen – und das nicht nur bis zum Ende der Coronakrise. Denn fest steht: Das Phänomen wird bleiben und verlangt von Unternehmen eine Analyse ihrer bisherigen Positionierung, ihrer Unternehmenswerte und Vision sowie der eigenen Unternehmenskultur.

Zudem steht Deutschland ein immenser Umbruch bevor. Eine Studie von Stepstone, Kienbaum, New Work SE und dem Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) kommt zu dem Schluss, dass in den nächsten 15 Jahren mehr als fünf Millionen Erwerbstätige fehlen werden – und das im ohnehin schon anhaltenden War for Talents.

Fachkräftemangel ist und bleibt also ein großes Thema für Unternehmen – und weiterhin eine zentrale Herausforderung. Flexible Arbeitsmodelle wie remote Work verstärken den Umstand. Denn konkurrierten Unternehmen bisher hauptsächlich innerhalb einer Region, in der bestimmte Talente ansässig sind, lösen sich nun Grenzen auf – Unternehmen weltweit ringen um die besten Köpfe.

Employer Branding gewinnt an Gewicht

So drastisch die Umwälzungen und damit einhergehenden Herausforderungen auch klingen mögen – sie bieten auch große Chancen: Es befinden sich damit mehr Talente auf dem Markt und mit der richtigen Ausrichtung gelingt es Unternehmen, diese zu akquirieren und zu halten. Hierzu kann ein wichtiger erster Schritt für Unternehmen bedeuten, die Unternehmenswerte neu zu evaluieren und sie gegebenenfalls zu adjustieren. Die Werte, Mission und interne Kultur müssen nicht nur innerhalb des Unternehmens gelebt, sondern auch aktiv nach außen kommuniziert werden.

Noch nie zuvor war Employer Branding sowie die Passung zwischen potentiellen Mitarbeitenden und der eigenen Unternehmensausrichtung so wichtig – denn sie entscheiden nicht nur darüber, ob Mitarbeitende sich für das Unternehmen interessieren, sondern auch, wie lange sie bleiben. 89 Prozent der passiv Suchenden und 84 Prozent der aktiv Suchenden achten explizit auf das Employer Branding bei Unternehmen. Je attraktiver ein Unternehmen für Mitarbeitende ist und je stärker ihre Identifikation mit der Firma ausfällt, desto geringer das Risiko einer Kündigung.

Mitarbeiterförderung – und Motivation im Fokus

Zunächst ist eine Veränderung des Begriffs HR, der Menschen als reine Ressource definiert, längst überfällig – viele Unternehmen haben ihn bereits durch die Bezeichnung „People and Culture“ ersetzt. Denn es geht schon lange nicht mehr darum, Individuen als Ressource mit ökonomischem Wert zu sehen, sondern sie und die gesamte Unternehmenskultur zu fördern. Der Fokus liegt daher nun verstärkt auf der Personalentwicklung sowie beispielsweise auf einem regen Austausch mit den Mitarbeitenden und Netzwerkaufbau (untereinander und mit anderen Firmen). Ersteres umfasst Aspekte wie persönliche Karriereentwicklung, Weiterbildungen, Gehälter, Leistung und die Beurteilung der Mitarbeitenden.

Generell geht es darum, personalisierte und motivierende Erfahrungen zu schaffen, die den Einzelnen stärken und somit auf das Team und das ganze Unternehmen einzahlen. Wie wichtig eine kontinuierliche Entwicklung der Mitarbeitenden ist, zeigt auch eine Gartner-Analyse: 29 Prozent der Fähigkeiten, die 2018 in einer durchschnittlichen Jobausschreibung beschrieben wurden, werden bis 2022 veraltet sein. Der Stellenwert der Mitarbeiterförderung ist für Unternehmen somit substanziell.

Wohlbefinden – ein essentieller Faktor

Die Umbrüche aufgrund der Pandemie hatten deutliche Auswirkungen auf die Gesundheit der Belegschaft. Laut der „AI@Work“-Studie von Oracle war das psychische Wohlbefinden von 78 Prozent der Befragten weltweit beeinträchtigt, in Deutschland waren es 68 Prozent. Für die herausfordernde Situation waren und sind Verständnis, Wertschätzung und Initiative von Unternehmen gefragt –  und werden auch 2022 auf der Prioritätenliste weit oben stehen müssen.

Es ist wichtig, dass Unternehmen sich nicht nur um das physische und mentale Wohl ihrer Mitarbeitenden kümmern, sondern ihrer Belegschaft aktiv zuhören und Mitarbeitenden die Chance ermöglichen, Prozesse im Unternehmen mitzugestalten. Eine regelmäßige Umfrage über das Wohlbefinden und die Einstellung der Mitarbeitenden zur Unternehmensführung hilft, Informationen darüber zu erhalten, wie die Dinge im Unternehmen stehen. Anschließend können daraus geeignete Maßnahmen zur Verbesserung des Wohlbefindens und der Unternehmensführung hergeleitet werden.

Je flexibler, desto besser: Neue Arbeitsmodelle sind gekommen, um zu bleiben

Arbeit muss mit dem Leben der Mitarbeitenden in den Einklang gebracht werden und nicht andersherum – egal ob hybrid, vollständig remote oder als Freelancer, Mitarbeitende sollten sich das Modell aussuchen können, das am besten zu ihrem Leben passt. Die Gartner-Studie „Top 5 Priorities for HR Leaders in 2022“ nannte hybrides Arbeiten als Treiber von Unternehmenstransformation. Und 76 Prozent der Befragten einer Umfrage von Harbinger Consulting gaben an, dass sie remote Work und die Möglichkeit, hybrid zu arbeiten, einer vollen Anwesenheit im Büro vorziehen.

Wichtig: Es muss für die Arbeitenden in den unterschiedlichen Modellen eine gleichwertige Inklusion  in die Unternehmensaktivitäten sichergestellt werden – ein ausgearbeitetes remote / hybrid Work Regelwerk schafft hierbei Klarheit und Orientierung. Zusätzlich kommen technologischen Anwendungen eine tragende Rolle zu. Gerade digitale Tools tragen erheblich dazu bei, den Zusammenhalt im Team, aber auch die Kommunikation optimal zu gestalten und aufrechtzuerhalten.

Technologie und Digitalisierung sind nach wie vor zentrale Themen

Mittlerweile nutzen, testen oder planen laut einer Studie des Bundesverbands der Personalmanager (BPM) und des Ethikbeirats HR Tech 30 Prozent der untersuchten Unternehmen bereits entsprechende technologische Anwendungen – etwa zur Optimierung von Stellenanzeigen, für das Profilmatching oder bei Vorschlägen für Entwicklungsmaßnahmen. Die Mehrheit der Befragten schätzte den Einsatz der Technologie als sinnvoll und für ihre Arbeit bereichernd ein. Technologie ist erforderlich, um Abläufe besser und schneller werden zu lassen – sollte aber auch nur dann eingesetzt werden, wenn sie wirklich einen Mehrwert bringt, etwa bei der Problemanalyse oder um das Erlebnis von Bewerbenden oder bestehende Prozesse zu verbessern.

Was war, was ist – und bleiben wird

Unterm Strich sind Trends vor der Pandemie – wie Digitalisierung und Technologie – nach wie vor zentraler Bestandteil, wenn es um die künftigen Schwerpunkte für den Unternehmensbereich „People & Culture“ geht. Jedoch sollten auch andere, durch die Pandemie ausgelöste oder verstärkte Aspekte wie flexible Arbeitsmodelle und das mentale wie physische Wohlbefinden fortan im Fokus von Unternehmen stehen.

Zentrale Herausforderungen – War for Talents, Great Resignation und die Arbeiterlosigkeit (ein Begriff, der das Fehlen von Arbeitskräften im Markt meint) durch den Ausstieg der Babyboomer – werden Unternehmen auch die kommenden Jahre beschäftigen. Es gilt also, den Bewerbenden und Mitarbeitenden durch passende Unternehmenswerte, attraktives Employer Branding, ansprechende Leistungen sowie gezielte Mitarbeiterförderung  einen Mehrwert zu bieten, der über einen hohen Gehaltsscheck hinausgeht und einmal mehr unterstreicht, dass sich das Unternehmen um Mitarbeitende kümmert, aktiv zuhört – und in ihnen definitiv mehr als nur eine Ressource sieht.

Foto Tuba Vogel

Tuba Vogel ist  Chief People Officer beim HR-Tech-Unternehmen Expertlead. Vor ihrer Zeit bei Expertlead schloss sie erfolgreich ihr Studium an der Middlesex Business School London und University of Applied Sciences Aachen ab. Anschließend begann sie ihre Karriere im Personalwesen und geht ihrer Passion nach, internationale Tech-Start-ups zu skalieren, Prozesse aufzusetzen und insbesondere deren Unternehmenskultur & -werte zu formen.

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