Psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz: Was Unternehmen tun können

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Seit 2013 sind Unternehmen laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz zu ermitteln. Christian de Waard, Commercial Director bei Effectory, erläutert das Vorgehen bei einer psychischen Gefährdungsbeurteilung (PsyGB).

Ziel der sogenannten psychischen Gefährdungsbeurteilung ist es, Belastungen im Arbeitsumfeld zu erkennen, die über die üblichen Anforderungen hinausgehen. Das können Arbeitszeiten und -abläufe sein, die Handlungsspielräume der Beschäftigten, die Vielfalt ihrer Tätigkeiten sowie ihre Qualifikation für die jeweiligen Aufgaben. Auch die Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten sowie die Arbeitsplatzgestaltung, verwendete Arbeitsmittel sowie neue Arbeitsformen können laut der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) psychische Belastungsfaktoren darstellen.

Als zentrales präventives Instrument des Arbeitsschutzes trägt eine professionell verwaltete PsyGB dazu bei, Belastungen zu identifizieren, die Mitarbeiter gesundheitlich beeinträchtigen oder ihre Motivation und Leistungsfähigkeit reduzieren. Damit kann sich das Verfahren auch positiv auf den Unternehmenserfolg auswirken. Allerdings ist die Umsetzung der Analyse für Firmen nicht einfach. Denn psychische Krankheiten sind ein heikles Thema und werden vielerorts tabuisiert.

Software-gestützte Analyse

Abhilfe schaffen software-gestützte PsyGB-Verfahren – sogenannte Screenings. Dabei gibt es je nach Anbieter unterschiedliche Ansätze. Beim einstufigen Verfahren werden die Mitarbeiter in einer Einmalerhebung befragt und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen entwickelt. Beim zweistufigen Verfahren erfolgt zunächst eine standardisierte Erhebung. Anschließend werden anhand der Befunde gezielte Interviews geführt und Maßnahmen erarbeitet.

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Bei der Wahl des Anbieters kommt es vor allem darauf an, dass das Verfahren wissenschaftlich validiert ist. Wichtig ist zudem, dass die Plattform des Anbieters benutzerfreundlich aufgebaut ist und an jedem Tag der Woche und rund um die Uhr Zugriff auf den Fortschritt des Screenings bietet. Darüber hinaus sollte, falls notwendig, eine vertiefende Analyse möglich sein – etwa in Form eines Workshops unter Leitung eines externen Gesundheitsexperten. Dieser unterstützt das Unternehmen bei der Ermittlung von Ursachen sogenannter Hotspots sowie über Zieldefinition und Erarbeitung umsetzbarer Maßnahmen.

Vorgehensweise: Ernennung eines Steuerungsteams

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) teilt den Beurteilungsprozess in drei Phasen ein: In der Planungsphase werden die zu untersuchenden Arbeitsbereiche festgelegt. In der Analysephase wird die psychische Belastung ermittelt und beurteilt. Anschließend erfolgt die Umsetzung entsprechender Maßnahmen und ihre Überprüfung auf Wirksamkeit.

Hat sich ein Unternehmen für den Anbieter einer software-gestützten PsyGB entschieden, sollte es ein Steuerungsteam zusammenstellen. Dessen Aufgabe ist es, den Bewertungsprozess zu planen, die Ergebnisse zu sichten, eventuellen Handlungsbedarf aufzuzeigen, entsprechende Maßnahmen zu initiieren und deren Wirksamkeit zu überprüfen. Idealerweise besteht es aus einem Arbeitgebervertreter, einem Mitglied des Betriebsrats, einer Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Betriebsarzt sowie einem Sicherheitsbeauftragten.

Alle sollten mit den betrieblichen Gegebenheiten im Unternehmen vertraut sein, über Kenntnisse der relevanten psychischen Belastungsfaktoren und deren Ermittlung verfügen sowie in der Lage sein, entsprechende Maßnahmen zu beurteilen.

Die Arbeitnehmervertretung hat bei der psychologischen Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht. Wichtig ist daher, vorher eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat (BR) abzuschließen. Normalerweise stellt ihm der Arbeitgeber eine Muster-Betriebsvereinbarung zur Verfügung. Der Anbieter der PsyGB-Software kann aber auch ein anderes Vorgehen in der Betriebsvereinbarung festhalten – beispielsweise dedizierte Ergebnisberichte für alle Teams.

Weitere vorbereitende Maßnahmen

Nach Beauftragung des Anbieters hat das Unternehmen etwa acht Wochen Vorlauf für die Vorbereitung der Umfrage. In diesem Zeitraum sind bestimmte Aufgaben zu erledigen. Zunächst sollte geprüft werden, ob der geplante PsyGB-Prozess die Vorgaben der DSGVO erfüllt. Zudem sollte der Anbieter mit dem Marktforschungsinstitut eine Anonymitätsvereinbarung abschließen – im Idealfall noch vor Ende der zweiten Vorbereitungswoche.

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Ein entsprechendes Formular wird in der Regel vom Anbieter zur Verfügung gestellt – ebenso wie der Online-Fragebogen für die Beschäftigten. Um die jeweilige psychische Belastung zu ermitteln, verfügen Anbieter über ein standardisiertes Fragenset. Zusätzlich kann der Kunde aber auch spezifische Fragen hinzufügen, die bis zum Ende der zweiten Vorbereitungswoche final sein sollten. Diese Zusatzfragen werden vom Anbieter separat ausgewertet.

Falls der Arbeitgeber ein zusätzliches Screening als notwendig erachtet, das über die organisatorischen Arbeitseinheiten (Abteilungen, Teams etc.) hinausgeht, sollte er die jeweiligen Arbeitsbereiche – etwa Sales, Verwaltung – sieben Wochen vor Befragungsbeginn festlegen. Anschließend hat er noch rund sechs Wochen Zeit, um den Fragebogen zu testen, die Struktur- und Teilnehmerdaten zu erstellen und sie anschließend im Portal des Anbieters hochzuladen.

Kommunikative Begleitung der Umfrage

Rund vier Wochen vor dem Start sollte der Arbeitgeber eine Informationsmail an die Belegschaft versenden, die eine Beschreibung der Vorgehensweise sowie eine FAQ zur PsyGB enthält. Die eigentliche Einladungsmail mit den Zugangsdaten wird vom Anbieter verschickt. Wichtig ist zudem, dass die IT-Abteilung auf die Umfrage vorbereitet ist. So sollte sichergestellt sein, dass die Info-Mail keine Warnhinweise enthält und dass die genannten Websites auch erreichbar sind.

Die Befragung läuft idealerweise über einen Zeitraum von zwei Wochen – etwa jeweils von Mittwoch bis Mittwoch. Am ersten Umfragetag verschickt der Anbieter eine Einladungsmail mit den Zugangsdaten. Nach etwa einer Woche folgt eine Erinnerungsmail an die Mitarbeiter, die noch nicht teilgenommen haben, sowie zwei Tage vor Befragungsende einen „Last Call“.

Psychische Gefährdungen: Gefährdungsindex und Belastungsstufen

Auf Basis der Antworten wird für jede Person ein Belastungsindex erstellt (0-10 Belastungspunkte). Als Belastungspunkt gilt die Beantwortung einer Frage mit „Nein“ („Trifft eher nicht zu“ oder „Trifft überhaupt nicht zu“). 0 bis 2 Punkte stehen für geringe, 3 bis 5 Punkte für mittlere und 6 bis 10 Punkte für hohe Belastungsintensität. Daraus ergeben sich insgesamt vier Gefährdungsstufen:

  • Stufe 0: keine Belastung – alle Mitarbeiter der Analyseeinheit (100 Prozent) weisen 0 Belastungspunkte auf
  • Stufe 1: Bei der überwiegenden Mehrheit der Mitarbeiter der Analyseeinheit (75 Prozent) besteht keine oder nur eine geringe Belastung (0-2 Punkte)
  • Stufe 2: 66 bis 74 Prozent der Mitarbeiter weisen eine geringe Belastung auf (0-2 Punkte), bei einem Viertel bis Drittel ist die Belastung mittel oder hoch (mehr als 2 Punkte)
  • Stufe 3: Bei 50 bis 65 Prozent der Analyseeinheit ist die Belastung gering (0-2 Punkte), ein Drittel bis die Hälfte weist jedoch eine mittlere beziehungsweise hohe Belastung auf (mehr als 2 Punkte)
  • Stufe 4: Mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter der Analyseeinheit haben eine mittlere bis hohe Belastung (mehr als 2 Punkte)

Der Anbieter fasst die Ergebnisse in einem Gesamtbericht zusammen. Ergibt sich für eine Analyseeinheit die Gefährdungsstufe 3 oder 4, erstellt er für sie einen separaten Ergebnisbericht. Dieser Report dient als Basis für einen weiteren vertiefenden PsyGB-Prozess unter Leitung des Steuerungsteams: Der Vorgesetzte des betroffenen Mitarbeiters und ein – vorzugsweise externer – Experte erstellen eine Risikoanalyse sowie einen dedizierten Ergebnisbericht.

Auf dieser Basis erarbeiten sie gemeinsam mit dem Mitarbeiter Ziele und Maßnahmen. Auch für deren Umsetzung ist der jeweilige Vorgesetzte verantwortlich. Dabei berichtet er regelmäßig an das Steuerungsteam, ob und wie die Maßnahmen Wirkung zeigen.

Laut Arbeitsschutzgesetz sollten Unternehmen nach zwei Jahren eine erneute PsyGB durchführen. Wesentliche interne Veränderungen – etwa eine Neuorganisation von Strukturen oder Abläufen, die Einführung neuer Arbeitsmittel oder ein stark erhöhter Krankenstand – können die wiederholte Analyse aber auch zu einem früheren Zeitpunkt erfordern.

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Christian de Waard ist Commercial Director bei Effectory. Nach seinem Abschluss in Sozial- und Organisationspsychologie an der Universität Leiden startete er seine Karriere in der Werbung. Im Jahr 2003 kam er zu Effectory und hat seitdem in verschiedenen Funktionen zum Wachstum des Unternehmens beigetragen.

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