Annina Hering: Der Wettbewerb um Talente bleibt intensiv

| | , ,

- Anzeige -
Banner inwerk Büro Lounge-Wochen

Wie stellt sich der Arbeitsmarkt aktuell dar? Welchen Herausforderungen müssen sich HR und Unternehmensführung stellen? Annina Hering, Senior Economist bei Indeed DACH, im Interview mit dem HR JOURNAL.

Unternehmen reduzieren Anreize wie Willkommensprämien oder höhere Gehälter, Stellenausschreibungen in HR gehen zurück. HR-Abteilungen stehen vor der doppelten Herausforderung, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen, während sie gleichzeitig mit einer schwächeren Wirtschaftslage konfrontiert sind, so Annina Hering.

In dieser herausfordernden Gemengelage ist HR unter anderem gefordert, innovative und kosteneffiziente Recruiting-Strategien zu entwickeln. Das rechnet sich auch langfristig, denn der Bedarf an Arbeitskräften wird weiterhin hoch bleiben. Dafür sorgen die demografische Entwicklung und der Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand.

Können Sie unseren Leserinnen und Lesern die aktuelle Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt erläutern?

Annina Hering: Der deutsche Arbeitsmarkt beweist eine bemerkenswerte Robustheit, mit einer stabilen Beschäftigungslage und einer anhaltenden Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften. Obwohl der Indeed Arbeitsmarkt Index einen Rückgang in den letzten zwei Jahren zeigt, ist dies teilweise eine Normalisierung nach einem beispiellosen Jobboom in der Post-Corona-Zeit. Vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlicher Unsicherheiten und des technologischen Wandels sowie demografischer Entwicklungen stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre Belegschaften anzupassen und weiterzuentwickeln.

Trotz dieser Veränderungen sind die Stellenausschreibungen auf unserer Plattform immer noch um fast 25 Prozent höher als vor der Pandemie, was den anhaltenden Fachkräftemangel unterstreicht. Der Wettbewerb um Talente bleibt intensiv, auch wenn er sich im Vergleich zum Vorjahr etwas abgeschwächt hat.

Folgen wir dem IAB-Arbeitsmarktbarometer von Ende März, dann geht es langsam aufwärts. Zitat: „Der stabile Arbeitsmarkt sichert die Einkommen und bewahrt die Volkswirtschaft damit vor einer ausgeprägten Rezession“, so Enzo Weber. Teilen Sie diese Einschätzung?

Annina Hering: Es ist richtig, dass sich der Arbeitsmarkt angesichts der zahlreichen Krisen und Transformationen sehr robust zeigt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass aus unserer Sicht die Talsohle bei den Stellenausschreibungen noch nicht durchschritten ist. Das ist die Big Data-Sicht. Anekdotisch kann ich aus meinen Gesprächen mit Unternehmen jedoch auch sagen, dass es weiterhin sehr viele Unternehmen gibt, die großen Personalbedarf haben und weiter einstellen. Die einzelnen Jobsegmente entwickeln sich dabei sehr unterschiedlich.

Von der Tendenz gibt es weiter großen Bedarf im Fachkräftebereich, beispielsweise in Gesundheitsberufen oder in der Logistik oder Lagerarbeit, während die Stellen für Wissensarbeiterinnen / Wissensarbeiter und Akademikerinnen / Akademiker deutlich zurückgegangen sind. Das Stellenangebot für die vermeintlich so heiß begehrten Software-Entwicklerinnen / -Entwickler ist zum Beispiel mit am stärksten zurückgegangen.

Warum ist der Arbeitsmarkt stabil? Treffen hier Rezession und Fachkräftemangel aufeinander?

Annina Hering: So ist es. Es ist ja durchaus erstaunlich, dass der Arbeitsmarkt angesichts der multiplen Krisen nicht stärker zusammenbricht. Der Fachkräftemangel und die damit einhergehende große Nachfrage nach zahlreichen Fachkräften sorgen dafür, dass dies derzeit nicht passiert. Langfristig gesehen ist die Stabilität des deutschen Arbeitsmarktes nicht gefährdet. Die demografische Entwicklung und der Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand werden zu einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials führen. Bis 2036 werden 30 Prozent der Erwerbspersonen in Rente gehen – ohne ausreichenden Nachwuchs, der ihre Plätze einnehmen könnte.

Wie würden Sie die jetzige Lage aus Sicht von HR beschreiben? Vor welchen Herausforderungen stehen die Personalerinnen / Personaler?

Annina Hering: HR-Abteilungen stehen vor der doppelten Herausforderung, qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen, während sie gleichzeitig mit einer schwächeren Wirtschaftslage konfrontiert sind. Unsere Daten zeigen, dass Unternehmen bereits damit beginnen, Anreize wie Willkommensprämien oder höhere Gehälter zu reduzieren. Zudem sind die Investitionen in HR-Personal rückläufig, was sich in einem deutlichen Rückgang der Stellenausschreibungen im HR-Bereich widerspiegelt.

Trotz verhaltener wirtschaftlicher Aussichten bleibt die Nachfrage nach Arbeitskräften hoch, was zu einem Markt führt, in dem der Fachkräftemangel auf Unternehmen trifft, die sich den Wettbewerb um Talente weniger leisten können oder wollen. Der Wettbewerb wird sich nicht abschwächen, sondern verlagern: Unternehmen mit ausreichend Budget oder kreativen Recruiting-Ansätzen könnten sich als Gewinner hervortun.

Welche Aufgaben sollte HR jetzt vorrangig angehen?

Annina Hering: In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit muss HR besonders agil und strategisch beim Recruiting vorgehen. Es ist entscheidend, dass HR-Abteilungen nicht nur auf die Talentakquise fokussieren, sondern auch innovative und kosteneffiziente Recruiting-Strategien entwickeln. Dazu gehört die Nutzung von datengetriebenen Ansätzen, um die richtigen Talente zu identifizieren und anzusprechen, sowie die Stärkung der Arbeitgebermarke, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.

Darüber hinaus ist es wichtig, die Bindung und Weiterentwicklung der bestehenden Belegschaft zu priorisieren, um Fluktuation zu vermeiden und das vorhandene Humankapital zu maximieren. HR sollte auch die Employee Experience in den Mittelpunkt stellen, um eine positive Wahrnehmung bei aktuellen und potenziellen Mitarbeitenden zu schaffen. Dies kann durch transparente Kommunikation, flexible Arbeitsmodelle und die Förderung einer inklusiven Unternehmenskultur erreicht werden.

Was sind Ihre Prognosen für die Zukunft des Arbeitsmarktes in Deutschland?

Annina Hering: Der Bedarf an Arbeitskräften wird weiterhin hoch bleiben – über alle Berufssegmente und Qualifikationsniveaus hinweg. Der demografische Wandel wird diese Entwicklung in den nächsten Jahren immer weiter verschärfen. Die Unternehmen können dieses Problem nicht alleine lösen. Es ist vor allem auch eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung vonnöten. Um den Arbeitsmarkt zu entlasten, ist es etwa wichtig, die Infrastruktur für Kinderbetreuung und Pflege zu verbessern, um insbesondere Frauen die Vollzeitarbeit zu ermöglichen.

Unternehmen sollten sich auf diese Entwicklungen einstellen und flexible Arbeitsmodelle sowie Unterstützungsangebote für ihre Mitarbeitenden anbieten. Auch muss das Werben um internationale Fachkräfte verstärkt werden, um das Erwerbstätigenpotenzial ansatzweise stabil zu halten. Aber auch jedes Unternehmen sollte nichts unversucht lassen, um mit innovativen Ansätzen und Anreizen, für das eigene Unternehmen Kandidatinnen / Kandidaten zu gewinnen.

Stichwort Herausforderungen: In welcher Hinsicht wird KI den Arbeitsmarkt verändern? Laut dem IAB sind vor allem Hochqualifizierte betroffen.

Annina Hering: KI wird den Arbeitsmarkt revolutionieren, indem sie nicht nur Routineaufgaben automatisiert, sondern auch neue Spezialisierungen und Berufsfelder schafft. Hochqualifizierte werden sich anpassen und lernen müssen, mit KI-Systemen zu arbeiten. Hier kann HR in den Lead gehen: HR-Abteilungen sollten spezifische Schulungen und Weiterbildungsprogramme anbieten, um die Belegschaft auf die Zusammenarbeit mit KI vorzubereiten. Dies wird sicherstellen, dass die Mitarbeitenden die erforderlichen Kompetenzen entwickeln, um in einer KI-integrierten Arbeitswelt erfolgreich zu sein.

Was wird sich für HR aufgrund dieser Entwicklung verändern?

Annina Hering: HR wird zunehmend auf datenbasierte Entscheidungsfindung setzen und KI-Tools zur Optimierung von Rekrutierungsprozessen und Talentmanagement nutzen. HR-Experten müssen sich auch mit den Möglichkeiten und Grenzen von KI vertraut machen und sicherstellen, dass der menschliche Aspekt von HR-Arbeit durch sie gestärkt und nicht gemindert wird. Wichtig ist dabei, Diskriminierungen und Vorurteile, die durch KI-Modelle verstärkt werden können, einzudämmen.

Wir müssen aufpassen, dass die Fortschritte, die wir in Sachen Diversität gemacht haben, nicht durch KI zurückgedreht werden. Aber ich bin optimistisch, dass wir KI entsprechend trainieren und einsetzen können. Insgesamt sehe ich in diesen Entwicklungen auch eine große Chance für HR-Experten: Mit KI-Unterstützung kann sich HR weiterentwickeln, um nicht nur operative Aufgaben zu bewältigen, sondern auch strategische Partner des Businesses bei der Gestaltung der Arbeitswelt der Zukunft zu sein.

Das Interview führte Helge Weinberg, Herausgeber HR JOURNAL.

Lesen Sie auch die folgenden Beiträge:

Foto Annina Hering

Dr. Annina Hering ist Senior Economist bei Indeed DACH. Sie erforscht Trends und Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt mit nationaler und globaler Relevanz. Annina Hering ist promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin. Vor Indeed war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.

- Anzeige -
Banner inwerk Büro Lounge-Wochen
Vorheriger Beitrag

Flex Friday – Paradigmenwechsel in der Arbeitskultur

[Keine] Mitbestimmung beim Einsatz von ChatGPT?

Folgender Beitrag