Wie gut ist HR auf die Herausforderungen des Jahres 2024 vorbereitet? Professor Peter M. Wald von der HTWK Leipzig spricht im zweiten Teil der Serie über die dringlichsten Themen, zeigt auf, wo Nachholbedarf besteht und erklärt, welche Schritte HR-Professionals jetzt gehen müssen. Er fordert eine gezielte Professionalisierung des Personalwesens, damit HR einen noch größeren Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann.
„HR tut sich nach wie vor schwer, eine aktive und gestaltende Rolle einzunehmen“, sagt Peter M. Wald. Und: „Viele Personalverantwortliche haben vergessen, wie wichtig gut gestaltete Aufgaben und Arbeitsbedingungen für die Bindung und Entwicklung der Mitarbeitenden sind.“ Die Kritik an den Defiziten in der Personalarbeit ist bekannt – und soll hier nicht überstrapaziert werden.
Im zweiten Teil der Interviews geht es um die Herausforderungen. Und davon gibt es einige. Der Spagat zwischen Rekrutierung und Bindung auf der einen und Personalabbau auf der anderen Seite wurde bereits im ersten Teil erwähnt. Gezielte Mitarbeiterbindung wird in diesem Zusammenhang immer wichtiger.
Stichwort „Flexibilisierung der Arbeit“: Hier gilt es, die Blue-Collar- bzw. Deskless-Worker einzubeziehen. Und: Wie gelingt es, das Wissen von Mitarbeitenden, die aus Altersgründen ausscheiden, im Unternehmen zu halten? Es gibt eine Fülle von Aufgaben auf der HR-To-do-Liste. Hier stellt sich die Frage: Welche Aufgaben sollte HR mit Blick auf die Zukunft prioritär angehen? Mehr dazu im Interview.
Was sind die größten Herausforderungen für HR in 2024 und 2025?
Peter M. Wald: Es wird zumindest teilweise zu einem Spagat zwischen Recruiting und Bindung auf der einen und einem Personalabbau auf der anderen Seite kommen. Gerade die gezielte Bindung von Mitarbeitenden wird zunehmend wichtiger – auch oder gerade unter unsicheren wirtschaftlichen Bedingungen. Gebundene Mitarbeitende sind engagierter, unterstützen einander und zeigen auch eine höhere Veränderungsbereitschaft. Sie können auf Netzwerke innerhalb und außerhalb der Unternehmen zurückgreifen und somit auch als Botschafter des Arbeitgebers bei der Personalbeschaffung agieren. Denn es wird auch weiterhin notwendig sein, Schlüsselpositionen effektiv zu besetzen.
Spagat zwischen Recruiting und Bindung auf der einen und einem Personalabbau auf der anderen Seite.
Hinzu kommen Anforderungen die mit der Betreuung und Begleitung von ausscheidenden Mitarbeitenden zusammenhängen. Dazu gehören Mitarbeitende, deren befristete Arbeitsverträge auslaufen oder die im Zuge von Personalabbaumaßnahmen das Unternehmen verlassen. Hier ist unbedingt auch an die Mitarbeitenden zu erinnern, die aus Altersgründen ausscheiden und deren weitere Mitarbeit zunehmend häufiger gewünscht wird. Für diese gilt es, passende flexible Lösungen zu entwickeln und einzuführen. Passend bedeutet, dass es keine Patentlösungen gibt, sondern dass die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden selbst Lösungen finden müssen, auch bei Fragen der Gestaltung von Arbeitsort und Arbeitszeit.
Hoher Wert des Wissensmanagements
Ein hoher Stellenwert wird auch dem aktivem Wissensmanagement zukommen. Wie gelingt es, das Wissen der aus Altersgründen ausscheidenden Mitarbeitenden im Unternehmen zu behalten? Hinzu kommen zahlreiche Fragen, die die Auswirkungen des wachsenden Einsatzes von KI-Lösungen auf alle Prozesse des Personalmanagements betreffen. Hier stehen nach meinen Beobachtungen viele Personalabteilungen erst am Anfang.
Was läuft gut, womit tun sich die Personalverantwortlichen oft schwer?
Peter M. Wald: Der Umgang mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie hat gezeigt, wie gut und schnell HR auf aktuelle Anforderungen reagieren kann. Auch im sogenannten Tagesgeschäft erbringt HR solide Leistungen und hat sich dadurch einen guten Ruf als Dienstleister erarbeitet. All dies bestätigt aber, wie schwer es HR nach wie vor fällt, eine aktive und gestaltende Position einzunehmen. Oder anders gesagt, HR kann recht gut auf konkrete Anforderungen reagieren, aber weniger gut in einem unsicheren Umfeld agieren.
Eine aktive und gestaltende Position fällt HR nach wie vor schwer.
Dies bestätigt sich derzeit wieder beim Umgang mit hybriden Lösungen und wird sich auch bei den kommenden Personalanpassungsmaßnahmen zeigen. Hier wird häufig nur reagiert. Es gibt zu wenig eigenständige HR-Initiativen, um hier zum Beispiel partizipativ zu nachhaltigen Lösungen zu kommen. Oft wird HR als wenig experimentierfreudig wahrgenommen.
Auch Defizite bei der Orientierung an den internen und externen Kunden werden beklagt. Und dies trotz erkennbaren Fortschritten bei der Umsetzung von Konzepten im Bereich Employee Experience. Nur wenige Impulse gibt es bei Themen wie der strategischen Personalplanung oder des strategischen Talent Managements. Dies zeigt sich auch beim notwendigen Upskilling aller Mitarbeitendengruppen. Trotz möglicher Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten zum Beispiel im Skill Management und Performance Management bleibt HR häufig den alten Vorgehensweisen verhaftet.
Unterschiede bei der Flexibilisierung der Arbeit von White- und Blue-Collar-Mitarbeitenden
Nicht zuletzt ist hier auf die beträchtlichen Unterschiede bei der Flexibilisierung der Arbeit von White- und Blue-Collar-Mitarbeitenden zu verweisen. Insbesondere bei den Blue-Collar-Workern wird sich der Druck nach neuen Lösungen kurzfristig deutlich erhöhen, auch um die nötigen Fachkräfte zu gewinnen und zu binden. Nachholbedarf gibt es auch bei der Zusammenarbeit von HR mit wichtigen Akteuren, die über die nötige Expertise in den Bereich IT und KI verfügen. Hier muss es gelingen, künftig gemeinsam an entsprechenden Lösungen zu arbeiten.
Welche Aufgaben sollte HR mit Blick auf die Zukunft prioritär angehen? Was kommt auf uns zu?
Peter M. Wald: Es muss insgesamt darum gehen, dass HR nicht nur Anpassungsfähigkeit zeigt, sondern spürbare Beiträge für den Unternehmenserfolg erbringt. Somit geht es um die Wirkungen, die HR erzielt. Diese Forderung ist nicht neu, stellt sich aber künftig vehementer als bisher. Dafür braucht es eine gezielte Professionalisierung aller HR-Bereiche. Personalerinnen / Personaler müssen dafür stärker als Ermöglicher und Beziehungsgestalter agieren.
Es braucht eine gezielte Professionalisierung aller HR-Bereiche.
Dazu gehören in erster Linie stärkere Impulse im Sinne nachhaltiger Personalentscheidungen. Nachhaltigkeit wird damit zum Erfolgsfaktor des Personalmanagements. Nachhaltigkeit im HR-Kontext sehe ich stets in ihrer ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Dimension. In allen Prozessen des Personalmanagement gilt es künftig Aspekte der Nachhaltigkeit stärker zu berücksichtigen. Wie kann dies umgesetzt werden?
Aspekte der Nachhaltigkeit stärker berücksichtigen
Hierzu gehört es sich mit dem Thema „Zukunft der Arbeit“ ganz konkret auseinanderzusetzen. Viele Personalerinnen / Personaler haben meiner Meinung nach vergessen, wie wichtig gut gestaltete Arbeitsaufgaben und -bedingungen für die Bindung und die Weiterentwicklung der Mitarbeitenden sind.
Die Fragen einer proaktiven Arbeitsgestaltung im Sinne der Persönlichkeitsförderlichkeit wird zukünftig bedeutsamer werden, was nicht nur durchdachten Einsatz von KI-Lösungen, sondern auch Fragen der Weiterentwicklung und der psychischen Gesundheit der Mitarbeitenden betrifft. In diesem Zusammenhang werden sich auch Fragen der Handlungsträgerschaft stellen. Wer entscheidet – der Mitarbeitende oder die KI-Lösung?
Der „Arbeitsplatz der Zukunft“
Ein hilfreiches Konzept könnte hier der „Arbeitsplatz der Zukunft“ sein. Dieser sollte für Wissensarbeiterinnen / -arbeiter gleichermaßen breite Entlastung von Routineaufgaben, vielfältige Kommunikations- und Lernmöglichkeiten, aber auch neue Möglichkeiten zur Mitgestaltung bieten. Diese künftig erreichbare Autonomie sowie die neuen Möglichkeiten zur Partizipation und Kollaboration müssen jedoch den Mitarbeitenden aller Altersgruppen kenntlich gemacht und verdeutlicht werden, um Sinn und Nutzen zu stiften.
Flexibilisierung der Arbeit auch für Blue Collar und Deskless Worker
Dies schließt ebenfalls die umfassenderen Möglichkeiten zum informellen und sozialen Lernen sowie Angebote zur Erhaltung und Förderung der physischen und mentalen Gesundheit ein. Dieses aktive Gestalten der Arbeit muss künftig auch die Blue Collar bzw. Deskless Worker einbeziehen, um auch diesen die Flexibilisierung der Arbeit erlebbar zu machen.
Nachhaltige Entscheidungen beispielsweise bei Fragen des Recruitings und bei der Mitarbeitendenbindung bestimmen den künftigen Unternehmenserfolg weit stärker als bisher. Dazu gehört es, sich den Themen Talent Management und Talent Mobility verstärkt zuzuwenden. Dies geht weit über die bislang üblichen Laufbahnmodelle hinaus und verweist auf den strategischen Nutzen des bereits erwähnten arbeitsintegrierten Lernens sowie einer proaktiven Gestaltung von Arbeitsaufgaben und der organisatorischen Lösungen zum Einsatz von Mitarbeitenden in allen Bereichen der Unternehmen. Dies dürfte es HR ermöglichen, stärker als bisher zu agieren.
Das Gespräch führte Helge Weinberg, Herausgeber HR JOURNAL.
Der erste Teil der Serie erschien am 16. September. Themen: „Wie stellt sich die Lage für HR im Jahr 2024 dar?“ und „Was sind die aktuellen Aufgaben von HR?“
Der dritte Teil am 30. September beschäftigt sich mit der Entwicklung der Rolle der Personalabteilung in den Unternehmen. Und last but not least, was HR-Studierende derzeit besonders interessiert.
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Prof. Dr. Peter M. Wald studierte von 1981 bis 1985 und promovierte 1988. Ab 1991 war er im Bereich Human Resources von nationalen und internationalen Unternehmen und ab 2002 als Professor an der HTW Dresden tätig. Seit 2009 ist er Professor für Personalmanagement an der Fakultät Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Er ist Autor und Co-Autor verschiedener Beiträge zu den Themenbereichen Recruiting/Candidate Experience sowie Arbeit 4.0. In der Forschung interessiert ihn vor allem der Einsatz digitaler Medien bei der Mitarbeiterführung. Prof. Wald ist aktiver Twitterati und bloggt im eigenen Leipziger HRM-Blog.