Von Hanoi nach Halle: Wie Viethoga Fachkräfte nach Sachsen-Anhalt lockt

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Der Fachkräftemangel stellt das Gastgewerbe in Sachsen-Anhalt vor große Herausforderungen. Eine Lösung kommt aus Vietnam: Viethoga bringt seit Jahren vietnamesische Auszubildende in die Region – und das mit wachsendem Erfolg. Jetzt wurde es erweitert. Michael Schmidt, Präsident der Dehoga Sachsen-Anhalt, gibt im Gespräch mit dem HR JOURNAL spannende Einblicke in ein Modellprojekt mit Zukunft.

Viethoga sticht heraus – nicht nur, weil es eine Win-Win-Situation für beide Seiten schafft, sondern auch, weil es sich kreativ und sympathisch von anderen Initiativen abhebt. Seit seiner Gründung hat Viethoga by Dehoga bereits fast 700 vietnamesische Auszubildende qualifiziert – nun erweitert es sein Ausbildungsangebot um handwerkliche und technische Berufe.

Wie entstand die Idee zu Viethoga? Wie funktioniert die Zusammenarbeit in dem Projekt? Welche Herausforderungen gab es und wie werden die vietnamesischen Fachkräfte in Unternehmen und Gesellschaft integriert? Michael Schmidt gibt im Interview Antworten – und eines steht fest: Ohne Beharrlichkeit und viel Ausdauer wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.

Wie entstand die Idee zu Viethoga und welche Ziele verfolgen Sie?

Werbung ViethogaMichael Schmidt: Die Idee beruht auf einem früheren Kooperationsprojekt zwischen der DDR und Vietnam namens „Kaffee für Arbeit“, das auch in meiner Heimat Weißenfels in Sachsen-Anhalt in den 70er Jahren gelebt wurde: Gegen den Rohstoff Kaffeebohnen wurden junge Vietnamesinnen und Vietnamesen verpflichtet und erhielten die Möglichkeit für eine Ausbildung in einem Betrieb, mit der sie später neue Kenntnisse in ihr Land zurückbrachten. Ich habe diese Idee 2017 wieder aufleben lassen, weil insbesondere in der Hotel- und Gastronomiebranche Nachwuchsmangel herrschte. Nun profitieren alle Seiten: Die jungen Azubis erhalten eine erstklassige Ausbildung und unsere Betriebe gewinnen künftige Fachkräfte.

Welche Meilensteine hat das Projekt seit der Gründung erreicht?

Michael Schmidt: Das duale Ausbildungssystem in Deutschland wird seit vielen Jahrzehnten weltweit sehr geschätzt. Das Viethoga Ausbildungsprojekt wurde 2017 gegründet und ermöglicht, mit festen Kooperationen in Deutschland und Vietnam und zu fairen und transparenten Bedingungen eine qualitativ hochwertige Ausbildung in Deutschland zu absolvieren. 2018 und 2019 haben wir Sprachschulen in Vietnam akquiriert, da die Sprache wichtigste Voraussetzung für eine gelingende Ausbildung ist. Mit der Corona-Pandemie und der strengen Ausgangssperre in Vietnam gab es allerdings eine Pause ab 2020. Als es 2022 wieder möglich war zu reisen, haben wir sofort daran angeknüpft und unser Projekt etabliert und erweitert.

Auszubildende Viethoga
© MWL

Eine besondere Dynamik hat Viethoga aber mit der Aufnahme in das Landesprojekt zur Fachkräftegewinnung des Wirtschaftsministeriums Sachsen-Anhalts im Juni 2024 gewonnen. Seitdem wurde das Projekt zunächst um Ausbildungen in 352 handwerklichen und gewerblich technischen Berufen erweitert, im November vergangenen Jahres wurde gemeinsam mit dem Goetheinstitut in Vietnam ein höherqualifizierender B2-Kurs aufgesetzt, um die sprachlichen Fähigkeiten für diese Berufe zu verbessern. Etwa 80 Azubis haben diese Kurse bereits durchlaufen.

Mittlerweile gibt es fast 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer – welche Rolle spielen die Absolventen für Sachsen-Anhalt?

Michael Schmidt: Es ist eine richtige Erfolgsgeschichte, von der beide Seiten profitieren. Das Land gewinnt hochmotivierten Nachwuchskräfte und der Wirtschaftsstandort wird gestärkt. Gemeinsam mit Unternehmen ermöglichen wir jungen Menschen aus Vietnam eine qualitativ hochwertige Ausbildung in der Gastronomie und Hotellerie und seit dem vergangenen Jahr auch im Handwerk und in gewerblich-technischen Berufen. Viele der engagierten jungen Leute sehen eine längerfristige Perspektive in Sachsen-Anhalt.

Wie arbeiten Sie mit den verschiedenen Partnern des Projekts zusammen, beispielsweise dem Goethe-Institut?

Michael Schmidt: Sprache ist der Schüssel zu allem, daher haben wir schon 2018 eine Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut geplant. Zunächst wurden aber über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Sprachanforderungen auf B1 gesenkt, so dass die zusätzliche Qualifizierung zunächst nicht zum Tragen kam. Umso erfreulicher ist, dass wir vergangenen November diese Kooperation vereinbart haben. Zu unseren Partnern gehören auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Magdeburg, der Handwerkskammer (HWK) Magdeburg und die Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH (IMG) sowie das Wirtschaftsministerium des Landes. In Vietnam arbeiten wir auch mit der Auslandshandelskammer (AHK) zusammen.

Was waren die größten Herausforderungen bei der Integration der vietnamesischen Auszubildenden?

Werbung ViethogaMichael Schmidt: Wie schon erwähnt, es ist die deutsche Sprache. Dafür haben wir aber nun beste Voraussetzungen mit der Sprachausbildung bereits im Heimatland geschaffen. Alles weitere läuft hervorragend mit der Unterstützung der Unternehmen im Projekt: Die jungen Menschen werden am Flughafen abgeholt, unsere Betriebe sind bei der Zimmersuche behilflich oder stellen welche, helfen bei den nötigen Behördengänge und Visaangelegenheiten und betreuen sie während ihrer Ausbildung – es ist ein gut durchorganisiertes System, so dass sich die Azubis voll und ganz auf ihre Ausbildung in den Unternehmen konzentrieren können.

Mit welchen Strategien fördern Sie neben den Sprachkenntnissen vor allem die kulturelle Integration?

Michael Schmidt: Die Partnersprachschulen in Vietnam tragen maßgeblich zur erfolgreichen Durchführung des Projekts bei, denn die Kurse umfassten nicht nur die Vertiefung des Wortschatzes sowie der deutschen Grammatik und der Syntax, sondern beinhalteten auch interkulturelle Kommunikation – ein Schlüsselelement für die berufliche Integration und persönliche Weiterentwicklung der Teilnehmenden. Sind die Auszubildenden in Deutschland, entwickeln sich schnell persönliche Beziehungen mit anderen, es gibt Betriebsausflüge und gemeinsame Veranstaltungen. Die Vietnamesen sind sehr reisefreudig und treffen sich außerdem mit ihren Communities zum vietnamesischen TET-Fest oder zu anderen Events, das trägt sehr zum Ankommen bei.

Seit Mai 2024 bietet Viethoga by Dehoga auch handwerklich-technische Berufe an. Wie fällt die Resonanz der Betriebe aus? Und: Werden Sie Ihr Projekt in absehbarer Zeit umbenennen?

Viethoga WerbungMichael Schmidt: Die Resonanz der Betriebe ist wirklich gut. Rund 352 Berufsbilder sind im Angebot, und es gibt schon Absolventen bei den medizinischen Fachangestellten, bei Mechatronikern und bei Bankangestellten – kurz: es hat sich schon eine rege Beteiligung der Betriebe etabliert. Eine Umbenennung streben wir nicht an, schließlich soll man die Idee ihrem Ursprung im Hotel- und Gaststättengewerbe zuordnen können. Aber mit der Eingliederung in die Landeskampagne „Sachsen-Anhalt kann’s halt“ haben wir den Projekttitel angepasst in: Viethoga – The German way.

Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie bei der Arbeit am Viethoga-Projekt gemacht?

Michael Schmidt: Es ist zu einem bedeutenden Teil meines Lebens geworden, seit ich 2017 den ersten Azubi in meinem Naumburger Betrieb aufgenommen habe. Mit Unterbrechungen haben wir als Viethoga-Projektgruppe zweimal im Jahr Vietnam bereist und inzwischen sehr gute Kontakte zu den Partnern im Land aufgebaut. Im vergangenen November ist auch Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze mitgereist und hat den Startschuss zur B2 Sprachausbildung in Vietnam gegeben. Ich freue mich sehr darüber, wie sich das Projekt inzwischen entwickelt hat.

Mit welcher Haltung sollten Unternehmen neue Projekte zur Fachkräftegewinnung angehen?

Michael Schmidt: Fachkräftesicherung ist eine wichtige politische und gesellschaftliche Aufgabe. Um wirklich etwas zu erreichen, benötigt man Durchhaltevermögen und Ausdauer, vor allem, wenn es um Bürokratie geht wie der Visabeschaffung aus Drittstaaten. Mein Tipp ist, dass sich Unternehmen zusammenschließen und auch den guten Kontakt mit den Auslands-Handelskammern suchen sollten.

Wie sehen Ihre langfristigen Ziele für das Projekt und die Zusammenarbeit mit Vietnam aus – gerade vor dem Hintergrund, dass Vietnam als ‚zentraler Partner‘ für Sachsen-Anhalt gilt?

Foto Barista
Envato/Weedezign_photo

Michael Schmidt: Unser Joint Venture soll sich als ein wichtiger Bestandteil der Fachkräftesicherung bewähren und fester Bestandteil in Deutschland und Vietnam werden. Die Nachfrage in den letzten Monaten steigt stetig, somit sehen wir auch in der Zukunft dieses Projekt als einen wichtigen Baustein zur Gewinnung von Fachkräften für Sachsen-Anhalt. Solange der demografische Schlüssel in Deutschland „zuschlägt“, so lange werden wir auch junge Menschen aus Drittstaaten und Vietnam nach Sachsen-Anhalt holen müssen.

Welche Eindrücke haben Ihre vietnamesischen Partner und potenziellen Auszubildenden von der aktuellen Zuwanderungsdebatte in Deutschland – hat sich etwas verändert?

Michael Schmidt: In Vietnam gibt einen großen Anteil an jungen und motivierten Menschen, die nach einer Perspektive im Ausland suchen. Dabei stehen ihnen viele Länder offen, Deutschland ist da nur ein Land unter vielen. Wir sollten uns als das hochmoderne und zukunftsorientierte Land darstellen, das wir sind, um für diese Menschen attraktiv zu sein. Letztlich steht für die Vietnamesen ihre Familie an erster Stelle: Nachdem sie eine gute Ausbildung absolviert und im Ausland gearbeitet haben, kehren sie zurück und bereichern ihre Gesellschaft. Es ist also eine Win-Win-Situation für beide Länder.

Das Gespräch führte Helge Weinberg, Herausgeber HR JOURNAL.

Weitere Infos zu Viethoga by Dehoga:

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Foto Michael Schmidt

Michael Schmidt ist Präsident des DEHOGA Sachsen-Anhalt e.V. und Geschäftsführer des „Gasthaus zur Henne“ in Naumburg. Foto: Katrin Zober.

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