Goran Barić: KI-Tools ersetzen nicht das persönliche Urteilsvermögen

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KI-Tools können für mehr Effizienz und eine bessere Candidate Experience im Recruiting-Prozess sorgen. Intelligente Technologien sollten aber eher als helfende Hand gesehen werden, meint Goran Barić, Regional Managing Director Northern & Central Europe der PageGroup. Und: In Zeiten des eklatanten Fachkräftemangels ist es umso wichtiger, das direkte Gespräch zu suchen.

Fast täglich tauchen im Netz neue Informationen über intelligente Technologien und ihre Anwendungsmöglichkeiten im privaten oder beruflichen Kontext auf. So ist Künstliche Intelligenz spätestens seit der Einführung von ChatGPT im Alltag vieler Menschen angekommen. Einen besonderen Einfluss nimmt KI dabei auf unsere Arbeitswelt. Sie übernimmt nicht nur einfache Routinetätigkeiten, sondern hilft auch bei analytischen und komplexen Aufgaben. Auch bei der Jobsuche sind die intelligenten Hilfen heute bereits im Einsatz.

Die neue Studie „Jobsuche mit KI“ der PageGroup zeigt, dass fast die Hälfte der Arbeitnehmenden bereits KI-Tools bei der Jobsuche oder Bewerbung nutzt (49 Prozent). Wie in vielen Anwendungsbereichen steht dabei vor allem die Zeitersparnis im Vordergrund (72 Prozent).

Matchmaker KI: Den richtigen Job finden

KI-Tools ersetzen nicht das persönliche Urteilsvermögen
Envato/Rawpixel

Neben dem Zeitaufwand für die Suche nach der richtigen Stellenanzeige besteht die erste Hürde insbesondere für Berufs- und Quereinsteiger bereits darin, die passenden Jobtitel zu kennen und damit das Angebot eingrenzen zu können. Für viele Branchen gibt es im Fachjargon spezifische Bezeichnungen, die nicht für jede Person dem jeweiligen Tätigkeitsfeld zuzuordnen sind.

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Schon vor der eigentlichen Suche in einem Jobportal lohnt es sich daher, mit einer entsprechenden Abfrage in einem Sprachmodell wie ChatGPT oder Google Bard zu spiegeln: „Welche Berufsbezeichnungen gibt es für die Tätigkeit, die ich ausüben möchte? Welche Berufe sind thematisch ähnlich?“ Oder auch: „Welche Branche oder welches Unternehmen bietet diese Stelle häufig an?“.

Mit Hilfe verschiedener Abfragen in Jobportalen können so spezifischere Stellenangebote gefunden werden. Auch können konkrete Unternehmen identifiziert werden, die als möglicher Arbeitgeber in Frage kommen. Aber Vorsicht: Gerade bei der Frage nach Unternehmensnamen kann die Auswahl der KI sehr eingeschränkt sein und vor allem namhafte Unternehmen in den Vordergrund stellen.

In der Vielzahl an Jobangeboten wünschen sich Arbeitnehmende durch den Einsatz künstlicher Intelligenz vor allem relevantere Jobvorschläge (64 Prozent). Die Integration von KI in Jobportalen ist dabei der nächste Schritt, um dem Wunsch der Arbeitnehmenden gerecht zu werden und die Jobsuche zu optimieren. Ein erster Ansatz in Richtung intelligenter Matchmaker sind Jobempfehlungen, die auf ähnlichen Suchanfragen basieren und direkt in das Postfach der Arbeitssuchenden gesendet werden.

Spannend für Unternehmen: Die passenden Bewerberinnen / Bewerber identifizieren

Foto Chatbot
Twenty20/@thanmano

Auch auf Arbeitgeberseite können KI-Tools helfen, aus einer Vielzahl von Bewerbungen passende Kandidatinnen und Kandidaten herauszufiltern. Intelligente Systeme sind bereits heute in der Lage, die Unterlagen schnell und effizient auf bestimmte Merkmale hin zu überprüfen. Durch die Objektivität der Lösungen können auch unbewusste ethische Vorurteile zunächst vermieden und Leistungen in den Vordergrund gerückt werden. Auch Chatbots auf Karriereseiten können erste Fragen der Bewerbenden beantworten. Recruiting-Prozesse werden optimiert, indem Zeit gespart und die Effizienz in der Personalbeschaffung gesteigert wird.

Eine schnellere Bearbeitung der Unterlagen erhöht zudem die Chancen, geeignete Mitarbeitende durch eine attraktivere Candidate Experience in einem umkämpften Stellenmarkt für sich zu gewinnen. Kein Jobsuchender möchte heutzutage noch monatelang auf eine Rückmeldung warten.

Anschreiben: Noch wichtig oder nichtssagend?

Frau arbeitet am Notebook
Twenty20/@ninaidea

Im Zeitalter KI-generierter Texte stellt sich zunehmend die Frage, wie relevant und verlässlich Anschreiben beziehungsweise Motivationsschreiben noch sind. Einerseits können sie Personalverantwortlichen einen ersten Eindruck der Person, auch abseits ihrer bisherigen Berufserfahrung liefern. Das kann besonders bei Quereinsteigerinnen / Quereinsteigern ein wichtiges Indiz sein, da sie in ihrer bisherigen Berufslaufbahn keine bis wenig Erfahrung in dem neuen Berufsfeld sammeln konnten.

Andererseits muss das geschriebene Wort nicht zwingend der Wahrheit entsprechen, wenn es von KI-Tools geschrieben und nicht noch händisch auf die eigene Person zugeschnitten wurde. Immerhin nutzen 46 Prozent der befragten Arbeitnehmenden KI-Tools, um ihre Bewerbungen effizienter zu personalisieren. Wie wahrheitsgetreu sie dies tun, bleibt allerdings ihnen überlassen.

Das Potenzial ist dabei enorm: Ob Anschreiben, Lebenslauf oder ein KI-generiertes Bewerbungsfoto – die Möglichkeiten decken fast alle Schritte vor dem persönlichen Vorstellungsgespräch ab. Dennoch sollten Bewerbende nicht zu experimentierfreudig werden. Bei einem herausragenden Profil kommt die Wahrheit früher oder später ans Licht. Und sind Anschreiben und Lebenslauf weit entfernt von der Realität, ist das meist kein gutes Zeichen.

Dabei wollen Personalverantwortliche Anschreiben häufig gar nicht mehr auf ihren Schreibtischen haben. Bewerbende gehen jedoch immer noch davon aus, dass ein Anschreiben einen besseren Eindruck verschafft. Viele HR-Abteilungen setzen schon heute mehr auf den Lebenslauf und das persönliche Gespräch und sind bereits mit einem passenden Lebenslauf zufrieden. All das, was potenziell im Anschreiben steht, kann in einem Telefonat oder vor Ort erörtert werden.

Personalverantwortliche erhalten so direkt einen persönlichen Eindruck der Bewerbenden und umgekehrt. Neben einer optimierten Candidate Experience können im persönlichen Kontakt auch zwischenmenschliche Aspekte wie Sympathie punkten. In Zeiten des eklatanten Fachkräftemangels ist es umso wichtiger, das direkte Gespräch zu suchen – das Unternehmen ist der Bewerber, während Jobsuchende in den meisten Fällen zwischen mehreren Angeboten wählen können.

KI stellt die Weichen, Arbeitnehmende müssen sie nutzen

KI-Tools können im Bewerbungsprozess auf Seiten der Arbeitnehmenden und Arbeitgeber für mehr Effizienz und eine bessere Candidate Experience sorgen. Auch im Arbeitsalltag vieler Beschäftigter führen sie bereits zu mehr Produktivität (80 Prozent), automatisierten Aufgaben (79 Prozent) oder auch der Kostensenkung durch straffere Prozesse (64 Prozent). Ein Großteil der Arbeitnehmenden befürchtet allerdings auch aufgrund des enormen Potenzials, dass KI-Tools ihre Arbeit zumindest teilweise ersetzen könnten (70 Prozent). Intelligente Technologien sollten jedoch eher als helfende Hand betrachtet werden.

Indem sich wiederholende Aufgaben automatisiert und Prozesse optimiert werden, erhalten sowohl Jobsuchende als auch Arbeitnehmende die Möglichkeit, sich auf wichtigere Aufgaben zu konzentrieren. Gerade in Unternehmen schafft der richtige Einsatz von KI Raum für Innovation und Entwicklung – das menschliche Urteilsvermögen muss dabei stets über den Ergebnissen oder Empfehlungen der KI-Tools stehen. Letztlich kommt es auf die Fähigkeit des Menschen an, Faktoren abzuwägen und Entscheidungen zu treffen. Ebenso wie es im zwischenmenschlichen Austausch eines Bewerbungsprozesses auf die tatsächlichen Hard und Soft Skills der Bewerbenden ankommt. Die KI ist hier nur ein Hilfsmittel, das durch den richtigen Einsatz eine enorme Wirkung entfalten kann.

Über die Studie

Für die Studie „Jobsuche mit KI“ befragte die PageGroup im November 2023 insgesamt 3344 Berufstätige aus 13 Ländern zur Nutzung Künstlicher Intelligenz im Beruf und bei der Jobsuche. 421 der Befragten stammen aus Deutschland.

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Foto Goran Barić

Goran Barić ist seit 2004 für die PageGroup tätig, als Geschäftsführer der PageGroup Deutschland und seit 2023 zusätzlich als Regional Managing Director für Nord- und Zentraleuropa (BeNeLux, DACH, Polen) und damit für die Einzelmarken Michael Page, Page Personnel und Page Executive verantwortlich. Die PageGroup wurde 1976 in Großbritannien gegründet. Heute ist sie im FTSE 250 gelistet. Sie ist in 37 Ländern vertreten.

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