Karriereverweigerung oder gesunde Arbeitseinstellung?

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Die Gen Y und Gen Z wollen anders arbeiten. Ist das der Anfang vom „Ende der Arbeit“, fragt Alexander Wilhelm von InterSearch. Oder stehen wir am Beginn eines Neuanfangs?

Wer sich momentan mit Top-Führungskräften oder HR-Verantwortlichen in Deutschland unterhält, könnte den Eindruck gewinnen, der Trend auf dem Bewerbungsmarkt gehe weg von der „Work-Life-Balance“ und entwickele sich hin zu einer „Life-Work-Balance“. Erste Stimmen sprechen schon von „Life-Life-Balance“. Ist das der Anfang vom „Ende der Arbeit“ wie es der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin schon 1995 formulierte oder der Beginn eines Neuanfangs?

Offensichtlich möchten gerade die jüngeren Generationen Y und Z  (Gen Y und Gen Z) heute oftmals lieber 30 statt 40 Stunden oder gar 40 Stunden plus x arbeiten, selbstverständlich zum gleichen Gehalt. Absolventinnen / Absolventen, beispielsweise in klassischen Ingenieurberufen, erwarten mittlerweile häufig ein Startgehalt von 50.000 bis 60.000 Euro p.a., je nach Branche teils schon darüber, was manche Firmen als „Realitätsverlust“ sehen und nicht bereit sind, zu akzeptieren.

Obstkorb, Yoga, Kantine? Ist das der Abgesang auf die Leistungsgesellschaft?

Gerade im Mittelstand sind Führungskräfte nicht mehr nur die Besserverdienenden, sondern müssen darüber hinaus größere Sozialverantwortung tragen. Sie müssen auf die Wünsche ihrer Angestellten eingehen. Gutes Kantinenessen, Sport und teilweise sogar Kindertagesstätten müssen zum Standard gehören. Die Infrastruktur spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Ist die Arbeitsstätte gut angebunden an den öffentlichen Nahverkehr? Gibt es Einkaufs- und Sport- beziehungsweise Freizeitmöglichkeiten?

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Nicht nur der Arbeitsinhalt und die Sinnhaftigkeit der Arbeit ist insbesondere für die jüngeren Altersgruppen wichtig, sondern auch die Arbeitsatmosphäre und das Image des Arbeitgebers müssen passen. Dazu gehört immer häufiger, dass Arbeitgeberinnen / Arbeitgeber flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten müssen, die über festgesetzte Tage mit mobilem Arbeiten hinausgehen.

Nach über einem Jahr Heimarbeit sehnen sich mittlerweile viele wieder nach ihrem angestammten Platz im Büro – das muss nicht unbedingt das Großraumbüro sein. Dies bestätigen uns unsere Kunden, einfache Trennwände reichen oft in den Großraumbüros nicht mehr aus und neue Raumkonzepte werden bereits durchdacht. Klar, gerade nach den isolierten Lockdown-Phasen ist jeder glücklich darüber, live kommunizieren zu können, aber ich bin mir sicher, viele werden wieder froh sein, die Tür hinter sich schließen und in Ruhe arbeiten zu können.

Die Aufgabe muss stimmen

Im Vergleich zu den „älteren“ Generationen von Erwerbstätigen legt die Generation Y der 1980 bis 1994 Geborenen mehr Wert auf Freizeit, wie Forschende herausgefunden haben. Die nachfolgende Generation Z will für Unternehmen arbeiten, die ihre eigenen Werte teilen, sie wollen vor allem etwas bewirken.

Immer mehr Positionen bleiben unbesetzt, weil Kandidatinnen und Kandidaten nicht dafür zu begeistern sind. Mehr Verantwortung, mehr Einsatz und Engagement führt häufig zu Absagen. Hier sind ältere Arbeitnehmende sicher noch traditioneller eingestellt als die junge Generation. Wie also darauf reagieren? Denkbar wären hier beispielsweise Teilzeitmodelle auch für Führungspositionen. Führung im Tandem.

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Unter den Über-50-Jährigen finden sich immer wieder Persönlichkeiten, die es noch einmal wissen wollen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind. Andere suchen zwar eine Alternative, wollen aber ihre Arbeitszeit reduzieren – und nehmen dafür weniger Einkommen in Kauf. In jedem Fall muss die Aufgabe stimmen.

Das Ende der Leistungsgesellschaft oder echte Work-Life-Balance?

Die geschilderte Situation und die Gegebenheiten erhöhen in jedem Fall die Arbeitskosten. Denn egal, ob jemand nur noch 30 Stunden arbeiten will, die Arbeit muss erledigt werden. Das kann so weit gehen, dass zusätzliche (Teilzeit-)Kräfte eingestellt werden müssen. In einem ohnehin stark angespannten Kandidatinnen- / Kandidatenmarkt und unter einem immer größer werdenden Wettbewerbs- und Preisdruck, etwa aus Asien und Ost-Europa, bereitet genau das Probleme.

Das Wirtschaftswachstum und die Stabilität geraten in Gefahr. Im Handwerk sowie im Anlagenbau fehlen Monteure und Service-Mitarbeiter, sodass Aufträge nicht mehr ausgeführt werden können, oder mit erheblicher Verzögerung, beklagen unsere Kunden. Selbst eine Personalberatung kann bei diesen Vakanzen in der Regel nicht mehr helfen, auch wenn erste Anfragen in dieser Richtung unsere Branche erreichen. Unternehmen stellen fest, dass eine Anzeigenschaltung oftmals unbeantwortet bleibt, selbst eigene Recruitment-Center größerer Unternehmen fangen an zu verzweifeln.

Andere EU-Länder, insbesondere aus Ost-Europa, schauen immer noch bewundernd oder neidisch auf Deutschland, sehen aber, dass der Abschied von der Leistungsgesellschaft negative Folgen hat. Ist Deutschland schon auf dem absteigenden Ast? Und was kommt nach der Leistungsgesellschaft?

Andererseits bewahrheiten sich teilweise Theorien, die besagen, dass in einer verkürzten, aber neu definierten und stärker auf die Mitarbeitenden ausgerichteten Arbeitsatmosphäre die Effizienz steigt und der Output optimiert wird.

Island geht voran

Island beispielsweise geht offensiv mit dem Thema um und hat in einem Versuch die Arbeitszeit mehrerer tausend Menschen unterschiedlicher Branchen um zehn Prozent bei gleichem Gehalt reduziert. Das Ergebnis: Produktivität und Leistung blieben gleich oder verbesserten sich sogar. Als Ergebnis ist ein Großteil der in diesen Versuch integrierten Bevölkerung auf Dauer auf die kürzeren Arbeitszeiten übergegangen oder hat zumindest das Recht darauf.

Die Frage ist natürlich, inwiefern sich solche Ergebnisse auf Deutschland übertragen lassen. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten sind in jedem Land und in jeder Region unterschiedlich. Dies muss und sollte auf jeden Fall beachtet werden. Was müssen Arbeitgeber daher tun, um sich vom Wettbewerb abzuheben? Bleiben wir nur noch attraktiv als Einwanderungsland für leistungsbereite Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Gehen wir von einer klassischen Industriegesellschaft in ein Dienstleistungsdenken und -handeln? Hierfür zeigen sich bereits deutliche Anzeichen.

Alexander Wilhelm ist Managing Partner bei InterSearch Executive Consultants GmbH in Frankfurt. Er berät vor allem nationale und internationale Unternehmen aus der Industrie – insbesondere aus der Automotive-, Chemie-, Kunststoff- und der Energie-Branche, dem Maschinenbau sowie dem Öffentlichen Sektor. Hier zählen sowohl Executive Search, Coaching von Führungskräften als auch Unternehmensnachfolge zu seinen Kernkompetenzen. © Foto: InterSearch Executive Consultants GmbH

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