Empathisch und wertschätzend: Führen auf Distanz

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Die Post-Corona-Zeit verlangt von Führungskräften ein völlig neues Portfolio an Management-Kompetenzen. Jörg Kasten von Boyden über Führen auf Distanz.

Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich in den letzten eineinhalb Jahren ein Großteil der Büroarbeit verändert und ins Homeoffice verlagert. Auch in der Post-Corona-Zeit will das Top-Management zahlreicher Unternehmen das Thema „New Work“ weiter forcieren. Das verlangt von den Führungskräften ein völlig neues Portfolio an Management-Kompetenzen – und von den Unternehmen echten Veränderungswillen.

Unsere Arbeitswelt wurde durch Corona in Rekordzeit auf links gedreht und musste sich an neue Spielregeln anpassen. Gerade in den Führungsetagen deutscher Top-Unternehmen hat dies zu neuen Vorgehensweisen geführt, die diametral zu seit langem vorherrschenden Wahrheiten standen. Home-Office war plötzlich nicht nur möglich, sondern Pflicht. Prozesse, die über Jahrzehnte vermeintlich nur im Präsenzbetrieb funktionierten, wurden quasi über Nacht digitalisiert. Der Transformationswillen wurde nicht nur auf die Probe gestellt, sondern auch – ein Stück weit erzwungen – beschleunigt.

Dass von diesen digitalen Maßnahmen und online-gestützten Prozessen viele auch wieder verschwinden – oder in den Hintergrund rücken werden – ist klar. Aber die Vorteile konnten in Zeiten von Corona nicht übersehen werden. Viele Aspekte digitalen Arbeitens werden daher überdauern und die Unternehmen haben dies nicht nur längst erkannt, sondern bauen ihre Strukturen, Prozesse und Workforce bereits aktiv um. Sich nicht für eine Post-Corona-Zeit aufzustellen, kann sich kein Unternehmen mehr leisten.

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Digital Leadership: Softskill-Portfolio hat sich massiv erweitert

Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Art der Führung gelegt. Die Unternehmen haben – teilweise schmerzlich – erfahren müssen, dass bestimmte Aspekte der Mitarbeiterführung und
-kommunikation in der „alten Welt“ vielleicht noch akzeptiert wurden, in einer digitalen Arbeitsumgebung aber nicht nur fehl am Platze, sondern sogar hochgradig destruktiv sein können. Nicht nur für das Betriebsklima, sondern in der Folge auch spürbar bei der Wettbewerbsfähigkeit und schließlich der Marktpositionierung – und dem Umsatz.

Fakt ist daher: Führung hat sich verändert. Heute sind andere Skills und Qualitäten eines Managers gefragt, wenn man Mitarbeiter aus der Distanz leiten will. Das Softskill-Portfolio von erfolgreichen Managern hat sich massiv erweitert. Ein klassisches Delegieren oder gar Kontrollieren ist heute nicht mehr möglich und schon gar nicht erwünscht. Führungskräfte müssen agiler sein und auf immer neue Situationen reagieren, die am anderen Ende des Bildschirms entstehen. Sie brauchen Antennen, für veränderte Stimmungen, müssen Dynamiken nur anhand von digitalen Nuancen erkennen und die richtigen Konsequenzen treffen.

Gute Führungskräfte bauen Hierarchieebenen ab

Zudem ist Motivation heute viel stärker der Schlüssel zum Erfolg. Nicht, weil man früher als Führungskraft nicht motivieren konnte, aber man dies heute – im virtuellen Meeting vor der Kamera – anders bewerkstelligen muss. Neue Leadership-Modelle sind weniger in Hierarchien aufgebaut und agieren auch nicht in diesen Strukturen, sondern vielmehr in Netzen. Es fallen Hierarchieebenen weg, was vor Corona teilweise undenkbar war. Die klassische „Ansage“, auf das viele Führungskräfte als verlässliches Instrument gesetzt hatten, wird die digitale Ära nicht überleben.

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Vom Suchen und gefunden werden

Insofern werden die analogen Führungskräfte mit ihren klassischen Methoden nicht mehr nachgefragt. Das spiegelt sich auch in den Suchaufträgen der Unternehmen wider. Was vor zwei Jahren noch durchaus en vogue war, ist heute „schwer vermittelbar“. Der klassische „Leader alter Prägung“ macht einer jüngeren Generation von Top-Managern Platz, die sich im digitalen, diverseren Unternehmensumfeld und der neuen Art des Führens, natürlicher bewegen. Der langfristige Unternehmenskulturwandel hin zu emphatischen und wertschätzenden Führungskräften ist spürbar und keineswegs temporär.

Dieser Switch vom „Corona-Krisen-Modus“ zu „Post-Corona-Modus“ wird von vielen Unternehmen daher massiv vorangetrieben, birgt aber auch Fallstricke. Viele Unternehmen haben noch immer die Vorstellung, dass die Situation, wieder im Büro zu sein, auch automatisch mit den vor der Pandemie genutzten Stellschrauben geregelt werden könne. Doch althergebrachte Denkweisen „Mitarbeiter hören zu und der Chef sagt, wo es lang geht“ sind nicht mehr tragbar: Top-down funktioniert nur noch in sehr wenigen Nischenbereichen.

„Digital Führen“ kann man lernen

Schaut man sich die Branchen an, war der IT-Sektor beim Thema „neues digitales Führen“ – vielleicht auch ein wenig herkunftsbedingt – führend. Denn Software entwickelt man schon seit über zehn Jahren nicht mehr erfolgreich mit der Wasserfall-Methode. „Von oben herab“ ist dort längst agilen Prozessen gewichen. Geführt wird weniger in festen Weisungsketten, sondern in Netzen. Diese Methoden haben sich schnell auch in anderen Bereichen der Mitarbeiterführung etabliert – und stehen vielen anderen Sektoren in Deutschland mittlerweile Modell.

Auch in Branchen, von denen man es auf den ersten Blick vielleicht nicht erwartet hätte, kann man den Erfolg dieser Führungskultur feststellen: Die deutsche Finanzwirtschaft musste aufgrund von Veränderungsdruck der Kunden und dem Wettbewerbsdruck von innovativen Fintechs früh mit entsprechenden digitalen Führungsmethoden reagieren.

Erst ein richtiges Umfeld für Digital Leader schaffen

Diese Digital Leader zu finden ist nicht einfach. Nicht, weil es sie nicht gäbe – man findet sie überall –, aber man muss wissen, wonach mach konkret suchen muss. Die richtigen Softskills sind der Schlüssel. Unternehmen müssen identifizieren, ob jemand in traditionellen Führungsmodellen behaftet ist oder schon heute „Leadership“ anders versteht. Tendenziell handelt es sich bei den Digital Leadern eher um jüngere Führungskräfte, die man vorher vielleicht nicht auf dem Schirm hatte. Aber es sind durchaus auch in der Generation 50+ die richtigen Manager mit digitalem Führungsverständnis zu finden.

Die Frage des „Findens“ ist aber nur ein Aspekt. Genauso wichtig ist, was das Unternehmen selbst der gewünschten Führungskraft als Arbeitgeber bieten kann. Wie steht es um das Verständnis dieser neuen Art der Führung bei den Vorgesetzten, wie offen und agil ist die Unternehmenskultur, werden die Werte tatsächlich gelebt oder sind diese nur in einem Leitfaden niedergeschrieben? Nur wenn es Unternehmen verstehen, selbst State-of-the-Art beim digitalen Führen zu sein und dies auch durch entsprechendes Handeln belegen können, werden sie auch die Chance haben, die richtigen Digital Leader für sich zu gewinnen.

Jörg Kasten ist Managing Partner im Frankfurter Büro von Boyden. Er verfügt über 25 Jahre Erfahrung in Executive Search und besetzt vor allem Führungspositionen auf Partner- und C-Level-Ebene für internationale Kunden in den Bereichen Technologie, Professional Services und Konsumgüter.

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